Der Dialog in Algerien bleibt eingeschränkt

■ Präsident Zéroual will noch in diesem Jahr ein neues Parlament wählen lassen

Madrid (taz) – Algerien steht vor dem letzten Schritt auf dem von den Militärs gelenkten „Weg zurück zur Demokratie“. Nach den Präsidentschaftswahlen im November 1995 und dem Verfassungsreferendum ein Jahr später läßt Präsident Liamine Zéroual jetzt Parlamentswahlen vorbereiten. „Sauber und durchsichtig“ soll der Urnengang werden, der erste, seit die Militärs 1992 die ersten freien Wahlen des Landes abbrachen, weil ihnen der Sieger, die inzwischen verbotene Islamische Heilsfront (FIS), nicht genehm war. Um den dazu nötigen breiten politischen Konsens zu erwirken, lud Zéroual am Dienstag die Vertreter von zwölf Parteien.

Doch statt Einheit demonstrieren die Wahlvorbereitungen einmal mehr die tiefe Spaltung, die Putsch und fünf Jahre Bürgerkrieg mit seinen – je nach Quelle – 60.000 bis 120.000 Toten hinterlassen haben. Eine Teilnahme der FIS an den Wahlen stand zu keinem Zeitpunkt zur Debatte. Die größte legale Oppositionskraft, die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS), boykottierte das Treffen wegen „fehlender Dialogbereitschaft“ Zérouals mit den Islamisten. Die Vertreter der kommunistischen Partei Ettahadi blieben zu Hause, weil ihnen die Veranstaltung nicht antireligiös genug war. Sie störten sich an der Teilnahme der beiden kleinen gemäßigten islamistischen Parteien Hamas und En-Nahda. Zu diesen beiden gesellten sich die radikal-laizistische Versammlung für Kultur und Demokratie (RCD), die ehemalige Einheitspartei Nationale Befreiungsfront (FLN), die Bewegung für Demokratie in Algerien (MDA) sowie weitere fünf kleine, unbedeutende Gruppierungen.

Wichtigstes Ergebnis: Auf dem Treffen wurde eine unabhängige Beobachterkommission für die Wahlen, deren erster Durchgang voraussichtlich am 29. Mai oder am 5. Juni stattfinden wird, gegründet. Dafür sollen auch Vertreter der UNO, der Organisation Afrikanischer Staaten und der Arabischen Liga gewonnen werden.

Für Kritik an den Wahlen ist dennoch gesorgt. „Einzig und allein ein Klima des Friedens und der Gelassenheit kann die freie Wahl der Algerier und Algerierinnen, und damit die Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit der Parlamentswahlen gewährleisten“, gibt FFS- Sprecher Seddik Debaili zu bedenken. Das Land sei gerade nach der Anschlagsserie, die seit Beginn des Jahres über 400 Menschenleben forderte, weiter davon entfernt denn je. Nur ein Dialog mit anschließenden freien Wahlen unter Teilnahme aller politischen Kräfte, also auch der FIS, könne das Land befrieden.

Die FFS ist eine der Kräfte, die sich vergangenen Herbst um einen „Appell für den Frieden“ zusammengefunden haben. Das Dokument, das eine Dialoglösung des Konflikts fordert, wurde unter anderem von Erneuerern der FLN und FIS-Vertretern im Ausland unterzeichnet.

Algerien wird erstmals zwei Kammern wählen. Die Nationalversammlung mit 380 Abgeordneten soll das vom Militärregime eingerichtete Marionettenparlament, den „Nationalen Übergangsrat“, ablösen. Besondere Bedeutung kommt der zweiten Kammer zu, dem Nationalrat. Ein Drittel der 144 Abgeordneten, die gegen Parlamentsentscheidungen jederzeit ein Veto einlegen können, wird vom Präsidenten direkt entsandt. Trotz dieser Machtfülle hätte Zéroual gerne eine ihm treu ergebene Partei ins Rennen geschickt. Die zwischen Erneuerern und Orthodoxen zerstrittene FLN kann diese Funktion längst nicht mehr wahrnehmen. Eine Neugründung sollte Abhilfe leisten. Diesen Plänen machte ein Anschlag auf den Vorsitzenden des Gewerkschaftsverbandes UGTA, Abdelhak Benhamouda, politischer Kopf der geplanten Neugründung „Partei des Präsidenten“, Ende Januar zunichte.

Die große Unbekannte ist das Stimmverhalten der FIS-Anhänger. Am ehesten kann sich die gemäßigte islamistische Hamas Hoffnungen darauf machen, die FIS an den Urnen zu beerben. Ein anderer möglicher Erbe könnten die Kräfte um den „Appell für den Frieden“ sein, sollte es ihnen gelingen, sich gemeinsam und mit einem eng an den Appell angelegten Minimalprogramm den Wählern zu stellen. Reiner Wandler