: Mit Hirn, Charme und Plaka-Farbe
■ Kinderbuchverfilmung der gelungeneren Art: „Harriet, die kleine Detektivin“. Die Vorlage wurde behutsam modernisiert – Elfjährige werden es zu schätzen wissen
Kinderbücher, die sogar zwanzig Jahre nach dem ersten Lesen nicht enttäuschen oder inzwischen langweilen, sind rar. „Harriet – Spionage aller Art“ gehört zu ihnen: Louise Fitzhughs schöne Geschichte über eine sehr eigenwillige Elfjährige. Denn wenn andere Kinder spielen, ist Harriet M. Welsh in ihrem Viertel unterwegs, um durch Dachluken und Türspalten das Treiben ausgesuchter Nachbarn zu verfolgen.
Jeweils auf ein Jahr sind ihre täglichen, heimlichen Besuche bei einem Vogelkäfigbauer, einer exzentrischen Witwe (Eartha Kitt) und einer chinesischen Großfamilie angelegt. „Meinen Spionagerundgang“ nennt Harriet diese Einsätze. Und alles, was sie hier sieht und hört, vor allem aber, was sie darüber denkt, schreibt sie in ihr Notizbuch: Um eines Tages Schriftstellerin zu werden, weiß sie von ihrem Kindermädchen Ol' Golly, muß sie lernen, zu beobachten und zu beschreiben.
Mit Ausnahme von Ol' Golly, die das akribische Sammeln von Gedanken unterstützt, bleibt Harriets Obsession von Erwachsenen unbemerkt. „Ein guter Detektiv läßt sich nicht erwischen“, so Harriet. Es sind die Gleichaltrigen, die das Notizheft unbefugt lesen und die von hier an gemeinsam gegen sie vorgehen: Die Kladde ist auch reich an unzensierten Bemerkungen über Harriets Mitschüler; selbst ihre besten Freunde werden nicht verschont.
Verfilmungen von raren, schönen Kinderbüchern, die man immer noch zur Hand nimmt, sind gefährlich. Werden die Figuren denen im Buch entsprechen? Stimmt die Geschichte mit der Vorlage überein? Im Fall von „Harriet, die kleine Detektivin“ ist hiermit die Entwarnung gegeben. Die Veränderungen halten sich in Grenzen. Modernisiert wurde vor allem die Kulisse, die 1964, im Erscheinungsjahr der Originalausgabe von „Harriet the Spy“, noch mit Schulpulten, Tintenfässern, Bücherriemen und Bridge spielenden Müttern bestückt war.
In der filmischen Fassung von 1996 sind die Klassenzimmer pädagogisch wertvoll eingerichtet. Auch ist es keine Tinte mehr, sondern Plaka-Farbe, die Harriets empörte Schulfreunde über ihr auskippen, nachdem das Notizheft öffentlich verlesen worden ist. Die Vorkommnisse und Charaktere jedoch stimmen – sieht man von der Idee ab, die einst italienische Großfamilie dei Santi in Chinesen zu verwandeln –, und Harriet ist nur ein kleines bißchen zu hübsch. Darüber hinaus fiel Louise Fitzhughs Erzählweise nicht einem Standardmaß zum Opfer. „Harriet“ ist mit 101 Minuten länger als die meisten Kinderfilme und übrigens sogar mit einem ungewöhnlich erwachsenen Soundtrack unterlegt. Elfjährige werden das zu schätzen wissen.
Arg störend ist allerdings ein angeklebter Schluß; eine kitschige Revue im Stil des ebenfalls überflüssigen Extraendes bei Barry Levinsons „Toy Story“. Und arg seltsam sind die wenigen Szenen, in denen das Mikrofon nicht ins Bild ragt. Aber das alles ist verzeihlich, wenn ein Lieblingsbuch gut behandelt wird. Carola Rönneburg
„Harriet, die kleine Detektivin“. Regie: Bronwen Hughes. Mit Michelle Trachtenberg, Rosie O'Donnell, Vanessa Lee Chester u.a. USA 1996
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen