: Der Psychiater ist weg
■ „Triangle“ – ein gelungenes Experiment von James Saunders im Piccolo Theater
Es ist Freitag abend. Hamburg ist umhüllt von einer Wolke aus hipper, cooler und uncooler Beliebigkeit. Ganz Hamburg? Nein! Denn auf der kleinen Bühne des Piccolo Theaters steht ein Mann, dem es um etwas Wesentliches geht.
Der Mann (Gerd D. Samariter) ist Schauspieler, also hat man ihm eine Bühne gegeben. Dort muß er nun vierzig Minuten lang bleiben, denn so steht es im Vertrag. Ansonsten kann er tun, was er will. Es fällt ihm nicht gerade leicht, er ist es gewohnt, einen auswendig gelernten Text zu rezitieren, eine Figur darzustellen, Handlungsanweisungen auszuführen. Jetzt hat er nur eine Bühne, und für den Fall, daß es ihm allzu dreckig geht, eine Flasche Whisky und ein Glas. Allerdings – es ist doch Theater, und in der Flasche ist bloß kalter Tee.
Es gibt jemanden, der ihm helfen könnte. Ein Psychiater wäre genau der richtige Mann dafür, ein Stuhl ist schon für ihn reserviert. Der Stuhl bleibt leer. Der Psychiater ist nicht da. Vermutlich ist er schon gegangen.
Auf dem zweiten Stuhl sitzt die Souffleuse (Brigitta Engel). Sie hat nicht viel zu tun, der Schauspieler beherrscht seinen Text. Manchmal, wenn er sich zuviel Zeit läßt, wenn er den Fragen des abwesenden Doktors ausweicht, zischt sie ihm ein böses Wort zu, das nächste Wort, das nicht vergessen werden darf. Der Mann auf der Bühne ist das Opfer eines hundsgemeinen Experiments. Es war der Psychiater, der ihm diesen perfiden Auftrag gab. Dr. Kotzgrimmig ist mit der Souffleuse verbündet. Eine Verschwörung. Ist der Mann irre? Oder nur besoffen? Manchmal scheint es, als spiele er einen Toten – als sei diese Aufführung eine Parabel von der Prüfung eines Schauspielers im Fegefeuer.
Triangle von James Saunders ist Theater auf dem Theater, ein paradoxes, kompliziertes Stück. Die Inszenierung von Gerd D. Samariter verwirrt, und zwar nicht nur durch das Neben- und Gegeneinander der verschiedenen Handlungsebenen. Vor allem ist es im wahrsten Sinne des Wortes merkwürdig, weil es Erkenntnise vermittelt. Daß es möglich ist, ein Spektakel ohne Spezialeffekte zu produzieren, nur mit einer Flasche Whisky und einem Glas. Daß es einen Weg gibt, im Paradoxen nach Wahrheiten zu suchen, ohne das Publikum mit Pseudo-Tiefsinn zu langweilen. Daß es reicht, wenn sich ein Mann auf die Bühne stellt und spielt, um ein Vakuum von vierzig Minuten zu füllen – dafür eine tiefe Verbeugung vor dem Piccolo Theater.
Barbora Paluskova
Mi-Sa 20.30 Uhr, So 16.30 Uhr, vorerst bis 28. Februar
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