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Morgenröte in Taipeh

■ Blaustichig: "A Chacha for the Fugitive" von Tasi-sheng Wang im Forum

Taipeh bei Nacht. In seiner Wohnung tanzt der junge Mann als Künstler zu bedeutungsvollen Celloklängen. Dunkel ist es und recht blaustichig. Worte fallen, die, wer will, auch auf den Film anwenden kann. „Design is an escape“ zum Beispiel. Doch das Design ist nur eine der Fluchten, von denen Tasi- sheng Wangs „A Chacha for the Fugitive“ handelt.

Eigentlich will der junge, narzißtisch-schöne, stets sonnenbebrillte Künstler nach New York gehen, um dort Choreographie zu studieren. Das Geld für die Fahrt versucht er sich als Mitglied einer Tanzgruppe zu verdienen.

Prächtige Sonnen- aufgänge und Spione

Wie es sich für junge Künstler gehört, lebt er in der Nacht und schläft am Tag. Ab und an erkundigt sich die aufgeregt-lustig-besorgt daherplappernde Mutter auf dem Anrufbeantworter nach dem Stand der Dinge. Ab und an kommt seine schöne Freundin vorbei und fragt, woher es komme, daß der junge Mann so unsicher sei. In Morgendämmerungen sitzen die beiden auf dem Hausdach und schauen sich die farbenprächtigsten Sonnenaufgänge an.

Dreiviertel des Films spielen des Nachts in der apokalyptisch neonleuchtfarbenen Hauptstadt Taiwans. Bei einem völlig wilden Punkkonzert in schönsten Hongkong-Farben geht es immer wieder um kommunistische Superspione: Die Gesellschaft befindet sich im Umbruch, wie es sich so langweilig dahersagt. Bei den ersten freien Präsidentschaftswahlen, die am 23. März 1996 stattfanden, war die Situation in Taiwan durchaus bedrohlich: Mehrere Male hatte die VR China versucht, die Wahlen mit martialischen Manövern vor der taiwanischen Küste zu beeinflussen.

Nur einmal verläßt der Tänzer mit seiner Freundin die Stadt, um das „Bienenkorb Feuerwerkfestival“ in Yenshui zu besuchen. Selten sah man schöner Funken sprühen.

Gleichzeitig wirr und identitätssüchtig

Zufällig filmt der Held, wie ein korrupter Politiker des alten Systems, der gerade noch vom Balkon zu einer aufgebrachten Menge sprach, erschossen wird. Der Künstler wird plötzlich gejagt. Auf seiner Flucht wechseln Traum- und Wirklichkeitsbilder einander ab. „Rennt er vor dem Killer weg oder / vor etwas anderem“, fragt sich der 44jährige Filmemacher, dessen Werbeclip für Stimorol- Kaugummis in Taiwan vor ein paar Jahren Furore machte.

Was passiert, wirkt gleichzeitig wirr und identitätssüchtig. Über seinen Film schrieb Tasi-sheng Wang Gedichte im Stile der Beatgeneration: „Ich schlug die Augen auf / Die Straßenlaternen von Taipei hatten einen gelben Glanz / jeder Nachtschwärmer hatte ein Flügelpaar / moderne Science-fictionhafte, gewalttätige Choreographie / eine Szene jagt die andere / alle hatten sich daran gewöhnt / Der Himmel von Taipei wurde noch orangegelber / jeder sagte / Ich will ein großartiges, ereignisreiches Leben führen / bevor die Sonne aufgeht.“ Detlef Kuhlbrodt

„A Chacha for the Fugitive“. Taiwan 1996, 83 Min., Regie: Tasi- sheng Wang. Mit Julien Chen, Hsin-Yu Liu u.a.

Heute: 15.30 Uhr Arsenal und 22 Uhr im Kino 7, Zoopalast; 18.2.: 21.30 Uhr Delphi; 22.2.: 22.15 Uhr Akademie der Künste

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