Eine Mannschaft mit Lust

Bayern München erkennt beim 3:0 gegen St. Pauli den Wert gemeinsamen Strebens, der Hamburger Anhang einen Klassenunterschied  ■ Aus München Katrin Weber-Klüver

Vorher gab es zweierlei zu betrachten. Erstens, daß normalerweise ein Herbstmeister, der Deutscher Meister werden will, einen Abstiegskandidaten mit engem Kontakt zum 16. Tabellenplatz zu Hause schlagen sollte. Etatmäßig. Zweitens aber, daß Bayern München seine letzten beiden Heimspiele gegen den FC St. Pauli nicht gewonnen hat. Obwohl in diesem Duell immer ein Titelkandidat gegen einen potentiellen Zweitligisten spielte (spielt und spielen wird). Auch etatmäßig.

Aus dieser Erfahrungs- und Statistikerkenntnis ergab sich flugs ein kleines Nord-Süd-Geplänkel. Eine Möglichkeit und den Willen zu gewinnen, hatte der Hamburger Trainer Uli Maslo gesehen und verkündet. Einen Punkt zumindest sein Mannschaftskapitän Carsten Pröpper ins Auge gefaßt. Und darüber hatte sich dann Münchens für Brachialhumor und schnöden Spott begabtester Spieler herzlich amüsiert. Mario Basler wurde „St. Pauli“-skandierend auf dem Trainingsgelände der Bayern gesichtet und erklärte, er und sein Team hätten „enorm die Hosen voll“ und würden den Hamburgern die Punkte auch gern kampflos geben.

Mit ähnlicher Launigkeit ging der Mann für die rechte Außenbahn, die besonderen Einlagen auf und neben dem Platz und die Liebe zum eigenen Einfallsreichtun dann ins Spiel. Nicht zu übersehen, daß Mario Basler sich freute, endlich wieder im Freien und um Meisterschaftspunkte Fußball zu spielen. Doch alle zusammen taten sich die Münchner zunächst schwer. Nicht, daß man etwa hätte denken müssen, es plage sie wirklich tiefe Angst ob der Hamburger Proklamationen. Doch einen fulminanten kreativen Schub hat ihnen die Winterpause auch nicht gebracht. Die erste Chance des Spiels jedenfalls hatten und vergaben die Hamburger nach zwei Minuten. Es war ein Glück für deren Anhang, daß er da die nachfolgende Durststrecke noch nicht erahnen konnte. Das nächste und letzte Mal sollte er erst zwei Minuten vor dem Abpfiff wieder freudig erregt sein. Das war, als die St. Paulianer nach zehn Münchner Ecken ihre erste und letzte bekamen. Den Ball verzog Martin Driller hinters Tor. Da lachte der Münchner Anhang sehr und hatte den biederen Auftakt der eigenen Mannschaft sowieso längst vergessen.

Denn in der Zwischenzeit hatten Jürgen Klinsmann zwei- und Thomas Helmer einmal gewonnen. „Uns fehlt die Qualität nach vorn“, erkannte Uli Maslo. Was eine bemerkenswerte Stürmerschwächelei beschreibt. Zugleich aber stand es auch mit der Qualität der Abwehr nicht zum besten. Jürgen Klinsmann erzielte seine Tore sechs und sieben auch deswegen, weil sein Manndecker Tore Pedersen nicht wußte, wo er warum am besten stehen sollte.

Und so anerkannte Uli Maslo insgesamt den Klassenunterschied, der sich in diesem Spiel unter verhangenem Himmel ganz unspektakulär gezeigt hatte: „Wenn der FC Bayern solide spielt, dann ist es schwer für St. Pauli.“ Den Hamburgern belastete diese Schwere im Verlauf des Spiels immer mehr das Gemüt und die Beine, so sehr, daß ihnen gar nichts Überraschendes, Kämpferisches oder Unverfrorenes mehr einfiel. Zugleich erweckten die Münchner den Eindruck, in den letzten Wochen an der Idee gearbeitet zu haben, daß eine gemeinschaftliche Spielgestaltung die Basis allen Strebens ist. Giovanni Trapattoni freute sich sogar, „eine Mannschaft mit Lust gesehen“ zu haben. Das war womöglich das Wichtigste.

In dieser Zufriedenheit sprach hinterher kein Münchner mehr über den Gegner. Vor allem der Trainer nicht. Alles, worum es Trapattoni in seinen Reflexionen ging, war die Gewißheit, eine „Woche gut zu beginnen“, die noch ein Pokalviertelfinale in Karlsruhe am Mittwoch und dann ein Meisterschaftsspiel in Bochum vorsieht. Am meisten aber beschäftigte Trapattoni die Generalprognose fürs Titelrennen. Der Sieg war wichtig, weil am Abend zuvor Dortmund mit seinem Erfolg über Leverkusen gezeigt hatte, „daß es eine starke Mannschaft ist“. Oder anders gesagt, weil allerspätestens durch diese Leverkusener Niederlage und den Schalker Sieg gegen Stuttgart die Konstellation an der Spitze an Eindeutigkeit entschieden gewonnen hat. Trapattoni weissagte: „Wir werden mit Dortmund einen Zweikampf haben bis zum Ende der Saison.“

Vielleicht erwachen ob dieser Voraussage auch die Zuschauer aus dem Winterschlaf. Von überbordender Begeisterung für den Tabellenführer zeugte die schlechteste Heimkulisse dieser Spielzeit kaum. Von den 63.000 Plätzen im Olympiastadion waren 30.000 leergeblieben. Immerhin von einem Abwesenden wußte man, welche Beschäftigung er vorzog: Franz Beckenbauer spielte Golf in Südafrika.

FC St. Pauli: Thomforde - Dammann - Pedersen (78. Bochtler), Stanislawski - Driller, Eigner, Pröpper, Springer (46. Scharping), Trulsen, Scherz - Pisarew (62. Emerson)

Zuschauer: 33.000; Tore: 1:0 Klinsmann (28.), 2:0 Helmer (53.), 3:0 Klinsmann (75.)

Bayern München: Kahn - Matthäus (33. Nerlinger) - Babbel, Helmer - Basler (70. Witeczek), Strunz, Scholl (70. Kuffour), Hamann, Ziege - Klinsmann, Zickler