: Nach dem Hörsturz in die Überdruckkammer?
■ Zum Ärger der Bremer HNO-Ärzte macht eine Nordbremer Privatklinik Werbung für ihre „Hyperbare Sauerstofftherapie“
Wenn es im Ohr klingelt, piepst oder pfeift, oder wenn man plötzlich gar nichts mehr hört, besteht Verdacht auf akuten Hörsturz oder „Tinnitus“. Etwa 15.000 Menschen im Jahr erleiden bundesweit einen akuten Hörsturz, Tendenz steigend. Die Ursachen sind noch nicht völlig geklärt. Viel deutet darauf hin, daß Streß und psychische Faktoren eine Rolle spielen. Physiologisch scheint es sich um Sauerstoffmangel in der Ohrschnecke zu handeln. Mit Anzeigen in der Lokalpresse wirbt neuerdings ein „Zentrum für Tauch- und Überdruckmedizin“ (ZETÜM) in Bremen-Nord für seine „Hyperbare Sauerstofftherapie“ (HBO) als Behandlung bei Tinnitus. Über die Konkurrenz ärgern sich die Bremer HNO-Ärzte.
Die klassische Behandlung des akuten Hörsturzes besteht darin, daß man versucht, umgehend den Sauerstoffgehalt des Blutes zu erhöhen, entweder durch Infusionen oder mittels durchblutungsfördernder Medikamente. Die zahlreichen Patienten, denen so nicht geholfen werden kann, laufen dann zum Psychologen, Orthopäden, Chirotherapeuten oder zum Akupunkteur. Die Resultate sind eher entmutigend.
Die Anbieter der Hyperbaren Sauerstofftherapie versprechen eine ungleich bessere Sauerstoffaufnahme des Blutes als bei der herkömmlichen Infusionsbehandlung. Beim ZETÜM, einer privaten Einrichtung, die im Mai 1994 als Notfallklinik für Taucherbetreuung gegründet wurde, wird in der Überdruckkammer reiner Sauerstoff eingeatmet. Eine Hyperbar-Therapie im ZETÜM umfaßt insgesamt zehn bis fünfzehn anderthalbstündige Gänge in die Druckkammer, jeder Gang kostet um die 300 Mark. „Weltweite Studien haben die Wirkweise der Hyperbare Sauerstofftherapie erwiesen“, sagt die Leiterin des ZETÜM, Frau Dr. Peusch-Dreyer.
Von den Krankenkassen ist die in Deutschland recht neuartige Druckkammertherapie bislang nicht anerkannt und in ihren „Leistungskatalog“ aufgenommen worden. Doch sind die Kassen durch die Sozialgesetzgebung dazu verpflichtet, nach Prüfung jedes Einzelfalles die Kosten für „ergänzende Therapien“ zu übernehmen. Als eine solche ist auch die Überdruckmethode akzeptiert. Beim ZETÜM empfiehlt man Tinnitus-Patienten: „Wenn Sie eine Kostenübernahmezusicherung Ihrer Krankenkasse wünschen, müssen Sie Ihren behandelnden Arzt bitten, in einem kurzen Schreiben die HBO als ergänzende Therapie zu empfehlen.“
Die Bremer HNO-Ärzte fühlen sich durch die „aggressive Werbung in der Laienpresse“ des ZETÜM und einer „Bremischen Gesellschaft für Sauerstoff-Überdruck-Therapie“ bedrängt. Zunehmend zeigen Patienten Interesse an der „ergänzenden“Therapie. “Wir fühlen uns dann genötigt, diese Empfehlung auszusprechen“, klagt Dr. Homoth, der Obmann der Bremer HNO-Spezialisten, in einem Schreiben an die Krankenkassenverbände des Landes. Homoth weist in seinem Schreiben darauf hin, daß es bis heute nicht gesichert sei, wie und ob die Drucktherapie bei den Ohrbeschwerden hilft. Er weist allerdings nicht darauf hin, daß auch die herkömmliche Behandlung wissenschaftlich ebenfalls auf unsicherem Boden steht.
Frau Peusch-Dreyer ihrerseits bietet den HNO-Ärzten die Hand zur Zusammenarbeit und empfiehlt ein „Stufenschema“: die Untersuchung des Patienten wie die anschließende Infusionsbehandlung sollen zunächst vom HNO-Arzt vorgenommen werden. Diese Behandlung sei „einfacher und auch erfolgreich“. Erst wenn sich innerhalb der ersten zehn bis vierzehn Tage keine Besserung einstellt, solle der Patient in die Druckkammer geschickt werden. Auf die Werbeanzeigen will das ZETÜM künftig verzichten, um den niedergelassenen Ohrenspezialisten guten Willen zu demonstrieren. Übrigens erwähnen sogar die jüngsten Leitlinien der „Gesellschaft für HNO-Heilkunde“ die Überdruckmethode – als ergänzende Therapiemöglichkeit. mn
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