: Eine für alles
■ Die italienische Sopranistin Cecilia Bartoli brillierte mit Kunstgesang
Singen pur! Das war lange nicht mehr zu erleben in Bremen, so hervorragend der eine oder andere Liederabend auch war. Aber das, was die Mailänder Sängerin Cecilia Bartoli mit ihrem „Instrument“ kann, ist zu großen Teilen auch ein ausgestorbenes Fach – das des „Koloratur-Mezzo“, das zuletzt in diesem Jahrhundert besonders durch Maria Callas und in der nachfolgenden Generation durch Teresa Berganza repräsentiert war. Bartoli singt heute an den großen Opernhäusern der Welt, und der Leiter der Glocke, Andreas Schulz, konnte mit seiner ersten eigenen Reihe „Glocke vokal“ keinen besseren Griff tun.
Wann hört man schon einmal, daß sich mit keinem gebauten Musikinstrument der Klang so varieren läßt wie mit der menschlichen Stimme: die Kehlkopfakrobatik aus verschiedener ethnischer Musik gibt uns eine Vorstellung davon. Im europäischen Kunstgesang ist ein solcher Reichtum eher komponiert als im künstlerischen Alltag gesangstechnisch auch ausgeführt worden.
Zu den wenigen, die mit ihrer Stimme noch alles können, gehört Cecilia Bartoli. Die atemberaubende Nuancierungsfähigkeit ihrer Gesangskunst regt an zu einem Blick in aufschlußreiche Dokumente über das Singen: „Alle Tonreihen müssen aus der Natur der Leidenschaften, welche sie ausdrücken, eine eigentümliche Behandlung erfahren“, heißt es zum Beispiel im 17. Jahrhundert, oder auch „Die Stimme des Sängers muß stark, volltönend, metallen, angenehm, gleichmäßig, ausdauernd und von weitem Umfang sein“.
Heute als Vokalkomponist nahezu vergessen: Antonio Vivaldi. Was er jedoch in Motetten, Kantaten und Arien der menschlichen Stimme abverlangte, gibt es erst wieder im italienischen Belcanto des frühen 19. Jahrhunderts: Koloraturen von wunderbarer Ebenmäßigkeit, Tonrepetitionen von unverfolgbarer Schnelligkeit, Lautstärkegrade von schneller Präsenz und höchstem Ausdruck – von unhörbarem Piano bis zu erschütterndem Forteausbruch – ,vollkommen bruchlosen Übergängen: traumwandlerisch sicher aufgehoben bei und ausgeführt von Cecilia Bartoli. Kein einziger Ton, in den sie „reinrutschen“ muß. Jeder Ausdruck, jede Schattierung ist als Ton auf der Stelle präsent und unendlich varriierbar. Das Streichquartett I Delfici begleitete unauffällig.
Die „Chants populaire“ von Maurice Ravel versetzte Bartoli mit dem unerschöpflichen Ausdrucksreichtum ihrer Stimme in vollkommen verschiedene Atmosphären: galizisch, französisch, hebräisch ist hier in Sprache und Musikstil verlangt, über Rhythmen und Klangfarben einfühlsam unterstützt von dem Pianisten György Fischer. In Arien von Gioacchino Rossini wurde abschließend noch einmal deutlich, wie sehr es dieser Sängerin, die sich zunächst als Flamenco-Tänzerin hatte ausbilden lassen, gelingt, daß dieses ganze technische Können sich nicht verselbständigt, sondern immer in einer Atmosphäre verhaftet ist und auf der anderen Seite nie aufgesetzt, sondern immer spontan klingt. Der „Beweis“ dafür war sozusagen die Cherubino-Arie aus dem zweiten Akt von Mozarts Figaro, die sie als Zugabe sang: seelisch fundiertes Legato steht ihr gleichermaßen zur Verfügung. Sie provozierte in der Glocke stehende Ovationen, nicht ein einziger Zuhörer rannte vor vier Zugaben zu seinem Mantel.
Ute Schalz-Laurenze
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