: Österreich igelt sich ein
Die bürokratischen Hürden für Ausländer sind in Österreich bald noch höher als in Deutschland. Polizeischnüffler forschen nach Scheinehen ■ Aus Wien Ralf Leonhard
Im gut geheizten Wartezimmer der Ausländerberatungsstelle der Caritas in Wien stellen sich Schwarzafrikaner, Männer mit arabischen Gesichtszügen und Leute vom Balkan um einen Termin an. Täglich sind es 70 bis 80 Personen, die beim Hilfswerk der Katholischen Kirche vorsprechen. Anders als die meisten kleineren Hilfsorganisationen hat die Kirche Geld und kann daher außer Beratung auch vorübergehend Obdach und Verpflegung bieten.
Da ist zum Beispiel der kurdische Bauer Yedi Karanfil, dessen Hof von der türkischen Armee unter dem Vorwurf der Kollaboration mit einer kurdischen Partei niedergebrannt wurde. Nach der Ermordung seines Bruders durch die Soldaten kratzte der 55jährige Analphabet sein letztes Geld zusammen und vertraute sich einem Schlepper an, der ihn nach Deutschland zu bringen versprach, wo er um politisches Asyl nachsuchen wollte. Als er nach mehreren Tagen und Nächten auf einer Lkw- Ladefläche aussteigen durfte, merkte er bald, daß er nicht in Deutschland, sondern unweit der ungarischen Grenze in Österreich gelandet war, wo ihn die Fremdenpolizei sofort in Gewahrsam nahm.
Yedi Karanfil landete zunächst in Abschiebehaft, von wo er den Asylantrag stellte. Dieser Antrag wurde vom Asylamt abgelehnt – der Asylwerber könne seine Behauptungen nicht beweisen, außerdem hätte der türkische Staat den legitimen Anspruch, sich gegen Terroristen einer illegalen Partei zu schützen. Zudem sei Ungarn ein sicheres Drittland.
Nach einem Hungerstreik in der Abschiebehaft landete der Mann körperlich geschwächt bei der Caritas, die ihm half, gegen den negativen Bescheid beim Verwaltungsgerichtshof Berufung einzulegen. Während des mehrjährigen Verfahrens blieb der Kurde illegal im Land. Auch der Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung ist mittlerweile abgeblitzt. Wenn Yedi Karanfil neuerlich von der Polizei aufgegriffen wird, kann er sofort in die Türkei abgeschoben werden.
Wie man in Wien als U-Boot lebt, konnte man vor kurzem in der Tageszeitung Der Standard nachlesen. Dort wurde vom asylsuchenden Rumänen Mihai berichtet, der in fünf Jahren nicht weniger als 15 Mal umziehen mußte. In seiner ersten Unterkunft wurden ihm für ein Bett umgerechnet 285 Mark im Monat abverlangt: in einer Wohnung von 50 Quadratmetern, die er mit 13 weiteren Personen teilte. Später wurde er um die 1.000 Mark Kaution geprellt, die er für ein Zimmer hinterlegt hatte. Ein Illegaler kann nicht vor Gericht gehen.
Ein Mann aus Ghana, der nach seinem Asylantrag zunächst in Bundesbetreuung aufgenommen wurde und dort Versicherungsschutz genoß, konnte seinen durch Folter verletzten Arm operieren lassen. Doch wurde ihm nach der Genesung die Metallschiene nicht aus dem Arm entfernt, denn weil mittlerweile sein Asylantrag abgewiesen wurde, ist er nicht mehr versichert und darf auch nicht arbeiten. Wiederholte Angebote auf dem Drogenmarkt vor dem Westbahnhof hat er bisher noch ausgeschlagen.
Die Begründungen, mit denen die Behörden Asylanträge abschmettern, sind oft blanker Zynismus. So wurde einem Mann aus Oberst Abachas Nigeria beschieden, er hätte sich an die heimische Justiz wenden sollen – der Mann hatte sich in Nigeria verfolgt gefühlt, nachdem er als Soldat dem Tötungsbefehl eines militärischen Vorgesetzten keine Folge geleistet hatte.
Nicole Lieger von der österreichischen Sektion von amnesty international beklagt den offensichtlichen Doppelstandard in der Menschenrechtspolitik: „Auf der einen Seite stimmt Österreich in der UNO bei Verurteilungen menschenrechtsverachtender Regimes mit, gleichzeitig läßt es Flüchtlinge in diese Lander abschieben.“ Zwar steht außer Zweifel, daß weniger als die Hälfte der Asylwerber wirklich politische Verfolgung erleiden. Schlepperbanden bringen regelmäßig Leute ins Land, von denen sie wissen, daß sie keine Aussicht auf Asyl haben. Doch mit einer Anerkennungsquote von zuletzt 1:8 zeigen die Behörden, daß es ihnen nicht um menschliche Schicksale geht, sondern darum, möglichst viele unerwünschte Eindringlinge wieder loszuwerden. 1996 wurden von 9.090 Anträgen nur 716 Fälle positiv erledigt. Allein im vergangenen Oktober wurden am Flughafen Schwechat bei Wien etwa hundert Einreisende zurückgewiesen. Im November stellten 49 Personen am Flughafen den Asylantrag, in der Mehrzahl Iraner, Iraker und Palästinenser verschiedener Nationalität. Die wenigsten haben Aussicht auf Asyl in Österreich. Christa Kleiner von der Ausländeberatungsstelle der Caritas weiß aus ihrer Erfahrung: „Es gibt kaum ein Land, das strenger ist. Deutschland ist im Vergleich goldener Boden.“
Doch nicht nur Ausländern, die als Asylsuchende ins Land kommen, wird es in Österreich schwergemacht. Unter dem zunehmend ausländerfeindlichen Klima, das durch die Erfolge von Jörg Haiders rechtspopulistischer FPÖ geschürt wird, ist im Jahre 1993 die Fremdengesetzgebung verschärft worden. Mit der Festsetzung einer Ausländerquote von acht Prozent des Beschäftigtenpotentials wurden über Nacht 27.000 Mitbürger zu unerwünschten Ausländern erklärt, die so schnell wie möglich abzubauen seien. Dementsprechend wird auch den schon lange im Lande lebenden Nichtösterreichern der Aufenthalt immer schwieriger gemacht.
Janko Brdic kam vor über 30 Jahren als Sechsjähriger aus dem damaligen Jugoslawien nach Wien. Seine Kinder kamen hier zur Welt, seine Muttersprache hat er verlernt. Obwohl er längst Anspruch gehabt hätte, suchte er nie um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an. Seit er einmal die Frist für die Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung versäumte, ist er illegal, denn die Versäumung des Amtsweges ist ein nicht wiedergutzumachender Fehler. Geht er aber nach Jugoslawien, um von dort aus neue Einreisedokumente zu beantragen, muß er dort den Wehrdienst nachleisten und würde seinen Job bei einem Wiener Planungsbüro verlieren. So kann Janko Brdic weder ausreisen noch legal im Land bleiben.
Noch Schlimmeres droht der 54jährigen Bosnierin Milojka Vukovic, die schon 20 Jahre in Österreich lebt. Sie läuft Gefahr, abgeschoben zu werden, seit sie vor drei Jahren wegen Krankheit ihren Job verloren hat. Neue Arbeit findet sie in ihrem Alter nicht mehr, und ihr Antrag auf Frühpension wurde abgelehnt. Damit wird sie mittellos und erfüllt das Kriterium der wirtschaftlichen Unabhängigkeit nicht. Obwohl die ausländischen Arbeitskräfte jährlich rund 200 Millionen Mark mehr in die Sozialversicherung einzahlen, als sie herausbekommen, verwehrt die Gemeinde Wien Ausländern die Sozialhilfe.
Wer mit österreichischen Staatsbürgern eine Ehe eingeht und sich später trennt, setzt sich dem Verdacht der Scheinehe aus. Die Behörden ermitteln gegen alle, die von ihren Partnern getrennt leben und erklären das Schlafzimmer zum Gegenstand amtlicher Nachforschungen. Beim Verhör vor dem Amt der Wiener Landesregierung, das in der Bundeshauptadt die Aufenthaltsgenehmigung ausstellt, und vor der Fremdenpolizei, die diese Genehmigung entzieht, muß man sich auch Fragen nach dem Intimleben gefallen lassen. „Hatten sie vorehelichen Geschlechtsverkehr?“, „Wo und wann wurde die Ehe vollzogen?“ – Routinefragen der Beamten, auch wenn sie aus den offiziellen Formularen bereits getilgt wurden. Wer nicht befriedigend Auskunft gibt, kann in Abschiebehaft landen.
Stefan Stortecky, der Leiter der Fremdenpolizei, erklärt, daß die Scheinehen zugenommen haben, weil nach der neuen Gesetzgebung die Eheschließung der einfachste Weg sei, zu einer Aufenthaltsgenehmigung und einer Arbeitsbewilligung zu kommen. Vor allem sozial bedürftige Frauen lassen sich für ein Honorar von umgerechnet zwischen 4.000 und 14.000 Mark von arbeitsuchenden Ausländern heiraten. Stortecky weiß von verzweifelten Frauen, die den lästigen Ehering schleunigst loswerden wollen, wenn ihnen später die Sozialhilfe aberkannt wird, weil sie nicht nachweisen können, daß der Ehepartner erwerbslos ist. Denn oft wissen sie nicht einmal, wo er sich aufhält.
Obwohl allein rund 30.000 Wienerinnen und Wiener ausländische Ehepartner haben, seien die mit der Untersuchung von Scheinehen verbundenen Schikanen nur ein Randproblem, sagt Christa Kleiner von der Caritas. Sie hat viel mehr mit Frauen zu tun, die unter dem Titel der Familienzusammenführung einreisen durften und nicht mehr mit ihren Partnern zusammenleben wollen. Lassen sie sich scheiden, dann verlieren sie die Aufenthaltsgenehmigung, denn sie dürfen nicht arbeiten und haben dank der strengen Quote keine Aussicht, unter einem anderen Titel im Lande zu bleiben.
Wer seine Aufenthaltsgenehmigung verliert und sich erwischen läßt, der kann in der Abschiebehaft landen und dort die Juwelen österreichischer Gastfreundschaft kennenlernen. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Künstlergruppe „Wochenklausur“, dessen Inhalt von den Behörden nicht bestritten wurde, dokumentierte systematische Mißhandlung. Daß die Post der Häftlinge überhaupt nicht oder nur mit großer Verzögerung weitergeleitet wird, ist vergleichsweise harmlos. Während der sechs Monate, die sie festgehalten werden können, bekommen die Häftlinge keine saubere Wäsche, und bis vor kurzem hatten die Frauen keinen Anspruch auf Monatsbinden. Die Verpflegung ist so schlecht, daß die Betreuerinnen der Caritas ihren Besuch nicht antreten, ohne den Häftlingen Essenspakete mitzubringen. Selbst die Vollzugsbeamten bekommen manchmal Mitleid und stecken den Gefangenen aus der eigenen Tasche etwas zu. Und der Fall eines Iraners, dem der Polizeiarzt gegen seine Zahnschmerzen Mundspülungen empfahl, bis der Mann zwei Zähne verlor und mit einer schweren Kiefervereiterung in die Klinik eingeliefert werden mußte, ist symptomatisch für die medizinische Betreuung der Abschiebehäftlinge.
Viele werden vorzeitig abgeschoben, weil sie über ihre Rechte unzureichend aufgeklärt wurden. Nicht zuletzt, weil die Dolmetscher oft zu Erfüllungsgehilfen der Behörden werden. Sie wollen schließlich Nachfolgeaufträge.
Werner Posch, Menschenrechtssprecher der SPÖ-Fraktion im Parlament, gibt zu, daß es in Österreich Diskriminierung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gebe. Er sieht zwar in der Vollzugspraxis ein größeres Problem als in der Gesetzgebung, hofft aber, daß die Reform des Fremdenrechtes im kommenden Februar flexibler wird. Ob das innenpolitisch durchsetzbar ist, weiß er selber nicht. Der ehemalige Innenminister Caspar Einem, der den xenophoben Freiheitlichen als linksextremer Ausländerfreund gilt, hat letztes Jahr vorsichtshalber die Quote neuerlich herabgesetzt. Statt zuletzt 18.400 soll es im laufenden Jahr nur mehr 17.320 Neuzulassungen geben.
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