In der Teufelsküche des Grübelns

■ Rauch stieg auf über den Gräbern der Theatertitanen. Matthias Beltz trat im Rahmen der „Kapitalschulung“ am Berliner Ensemble auf, als höflicher Gast

„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand bestimmt.“ Weil Matthias Beltz ein geborener Renegat ist, zitiert er als bekennender Linksradikaler mit Vorliebe den katholisch-reaktionären Staatstheoretiker Carl Schmitt. Und weil der Kabarettist und gelernte Staatsrechtler an diesem Montag abend im Rahmen der „Kapitalschulung“ im Berliner Ensemble auftritt, das seit einem Jahr zum Hauptquartier des Scheiterns in postheroischen Zeiten ausgebaut wird, befindet sich Matthias Beltz absolut am rechten Platz.

Das Berliner Ensemble ist zweifelsohne einer der interessantesten Orte im Berlin der Gegenwart. Wo, wenn nicht hier, kann man die Geschichte dabei beobachten, wie sie auf toten Gäulen ins Ziel reitet. Greisenhafte Hofschauspieler aus großer Zeit kämpfen, von wirklichen Kommunisten angeleitet, ihren autistischen Kampf um den ersehnten Bühnentod. Theaterkritiker erteilen dazu die Haltungsnoten. Berauscht vom Verwesungsgeruch deutsch-revolutionärer Blütenträume, verwandelt sich die Staraktrice ins Führerliebchen, plaudert über das mangelhafte Gemächt ihres Herrn, und draußen bellt der Schäferhund. Hin und wieder tritt auch ein schmächtiger Mann auf und versucht, im Alleingang das ganze deutsche Theater in die Luft zu sprengen. Dann verkünden gewaltige Wortglocken des deutschen Feuilletons seine heroische Niederlage der staunenden Mitwelt. Wenn die Matadore zwischen den Großkampftagen dekadenten Genusses ihre wohlverdiente Pause genießen, regiert der Chefdramaturg Carl Georg Hegemann. Gern lädt er sich dann ein paar Freunde ein, um mit ihnen auf den Gräbern der toten Väter Brecht und Müller zu tanzen. Das ist die Zeit der „Kapitalschulungen“, der „missionslosen“ Veranstaltung von Denkspielen, die sich „mit (anti-)kapitalistischem Know-how beschäftigen“ (Hegemann). Während der Kapitalismus draußen sich fortpflanzt, indem er seine Grundlagen aufzehrt, bläst drinnen die Jungkommunistin Sahra Wagenknecht, als biedermeierliche Jeanne d'Arc kostümiert, auf der Posaune des Jüngsten Gerichts zum Klassenkampf. Rauch stieg auf über den Gräbern der Theatertitanen, als der Kleinkünstler Matthias Beltz das Podium betrat, um einem staunenden Publikum die nie gestellte Frage nach Sinn und Zweck eines revolutionären Aufstands zu beantworten. Mittels seiner „kabarettistischen Methode“ montierte Beltz aus der revolutionären Literatur des abgelaufenen Jahrhunderts genüßlich Zitate blutdürstiger Lust am permanenten Ausnahmezustand. Als Kronzeugen für den Traum von der revolutionären Tat rief er die drei „Partisanen der Staatsfeindschaft“ Carl Schmitt, Karl Korsch und Bert Brecht in den Zeugenstand. (Nicht nur) durch die Schriften dieser politisch dilettierenden Ästheten zieht sich wie ein blutiger roter Faden die mörderische Unterscheidung zwischen Freund und Feind. „Welche Taten werden von uns verlangt?“ fragte Beltz und zitierte Majakowskis „Linken Marsch“: „Still, Ihr Redner! Du hast das Wort, rede, Genosse Mauser!“ Doch der ehemalige Kombattant von Joschka Fischer in der Frankfurter Spontigruppe „Revolutionärer Kampf“, inzwischen ein geschworener Verteidiger des Normalzustandes, ließ keinen Zweifel an seiner Skepsis gegenüber diesem papierenen Rausch der Sinne. Um den immer noch virulenten Männertraum von der Diktatur über Andersdenkende stillzustellen, hält es Beltz mit der Anwendung des historischen Materialismus auf sich selbst. „Wenn du das machst, kommst du in die Teufelsküche des Grübelns.“ Nicht das Schlechteste, findet Matthias Beltz, zumindest solange noch keine revolutionäre Idee gefunden sei, die die Massen auch wirklich ergreife. Und bis dahin? Da auch im Kapitalismus jeder Mensch das Recht auf Ekstase besitze, empfahl Beltz als „beste, keineswegs harmloseste Droge die Kunst“.

Schade nur, daß das Publikum „auf dem Boden der DDR, ehemalige kann man ruhig weglassen“ (Beltz) so sichtlich wenig auf die frohe Frankfurter Botschaft des Genusses vorbereitet war. Also kam, was kommen mußte. Wie er die Aussichten für das deutsch- deutsche Verhältnis beurteile, lautete eine Frage, worauf sich der passionierte Verräter als höflicher Gast erwies. Anstatt wie noch tags zuvor in der Kneipe seine „Ausweisung aus diesem dummen Volk“ zu beantragen, rettete er sich in die laue Heiner-Müller-Paraphrase, daß gegenwärtig nicht wir die Geschichte, sondern die Geschichte uns als Material zur Brust nähme. Immerhin eine Tröstung hielt er doch parat. „Der Kommunismus ist nicht tot. Warum auch? Das Christentum brauchte schließlich 300 Jahre, um aus dem Untergrund zur Staatsreligion aufzusteigen.“ Nikolaus Merck