Neue Chancen fürs Fahrrad

Erster Boom ist beendet. Tüftler setzen auf technische Neuerungen, Verkehrspolitiker auf verstärkte Lobbyarbeit  ■ Aus Bonn Florian Heckhausen

Das hat die Garderobenfrau noch nie erlebt: Neben Mänteln und Taschen hatte sie auch Falträder an die Kleiderhaken zu hängen. Es waren Besucher des Fachkongresses „Fahrrad. Markt. Zukunft“ im noblen Bremer Congress Center, die dieses seltene Anliegen hatten. Diese vom Verbund selbstverwalteter Fahrradläden (VSF) organisierte Veranstaltung sollte helfen, dem Zweirad „den gesellschaftlichen und verkehrspolitischen Stellenwert zu geben, den es längst verdient hat“, so Geschäftsführerin Ulrike Saade.

Ein Jahrzehnt lang erfreute sich die Branche satter Zuwächse und machte sich kaum Gedanken über das Warum. Seit 1994 verzeichnet der Fahrradfachhandel Umsatzrückgänge von 20 bis 30 Prozent.

Aber nicht nur hausgemachte Probleme plagen das Gewerbe. Man fühlt sich bedrängt von Billigprodukten aus Niedriglohnländern. Diese werden durch branchenfremde Anbieter wie Supermärkte, Kaffeeshops oder Tankstellen verramscht.

Nun setzt man einerseits auf technische Neuerungen. So zeigten die 35 handverlesenen Aussteller hochwertiger Produkte, daß der Trend zu mehr Komfort und Alltagstauglichkeit geht. Die nutzer- und pflegefreundliche Nabenschaltung erlebt schon länger eine Renaissance. 1996 war jedes zweite verkaufte Fahrrad mit einer Nabenschaltung ausgestattet. Jetzt setzt die Firma Fichtel & Sachs noch fünf obendrauf und verwandelt die 7-Gang-Schaltung in die Weltneuheit 12-Gang-Nabe. Ob Großtransport oder Kinder, mit den verschiedensten Komponenten soll es wieder zum Lastesel werden.

Aber nicht allein ein besseres Rad reicht zur Konsolidierung aus. So fordert der Geschäftsführer des Allgemeinen Deutschen Fahrrad- Clubs (ADFC), Horst Hahn- Klöckner: „Ich muß nach der Probefahrt das Gefühl haben, nie mehr vom Sattel herunter zu wollen.“ Service und Beratung sollen in Zukunft wieder groß geschrieben werden. Ebenso muß der Fachhandel eine gut funktionierende Werkstatt bieten, die lange Wartezeiten an den ersten Sonnentagen entzerrt. So gibt es in allen VSF-Läden den preiswerten Wintercheck für alle, die ihr Rad bis Ende Februar überholen lassen.

Daß die Fahrradbranche trotz geringer werdender Kaufkraft noch gut im Sattel sitze, meint Marktforscher Hermann Fuchslocher. Seine Umfragen prophezeien der Freizeitindustrie trotz aller wirtschaftlichen Probleme eine große Zukunft. Und da 89 Prozent aus Spaß und 71 Prozent wegen ihrer Gesundheit radeln und „Radfahren keine schnell vergängliche Trendsportart ist“, ist Fuchslacher überzeugt, daß die 70 Millionen Räder in Deutschland noch nicht die Obergrenze sind und die Pedalisten immer was Neues möchten.

Als Hemmnis zum häufigeren Gebrauch des umweltfreundlichsten Fahrzeugs kristallisierte sich in den etwa 40 Workshops und Vorträgen die Verkehrspolitik heraus. „Das Potential des Fahrrads wird in der Stadt viel zu wenig benutzt“, sagt Ulrike Saade, Geschäftsführerin des VSF. „Das Fahrradfahren muß wie in Holland politisch gewollt und begünstigt werden.“ Untersuchungen belegen die Konkurrenzlosigkeit des Rads bei Entfernungen unter fünf Kilometern. In den Niederlanden setzt man diese Erkenntnis schon lange um, indem die Infrastruktur für Radler immer weiter optimiert wird. Trotz 27 Prozent Fahrradverkehrsanteil (in Deutschland elf Prozent) hat die Regierung den Masterplan Fiets verabschiedet. Mit steuerlichen Anreizen, eigenen Straßen, Fahrradparkhäusern, guter Anbindung an Läden und Institutionen will das Nachbarland noch einmal 30 Prozent mehr Wege mit dem Fiets zurücklegen lassen. „Wenn das Fahrrad in die Fachplanungen integriert wird und nicht mehr nur Abfallprodukt des motorisierten Verkehrs ist, wird auch bei uns das Radfahren stark zunehmen“, ist Verkehrsplanerin Ursula Lehner-Lierz überzeugt.