■ Berlinalien: Filmriß
Kino 7, 18.30 Uhr. „Möbius“ handelt von einem verschwundenen U-Bahn-Zug. Eine Übung der Filmklasse von Gustavo Mosquera aus Buenos Aires im Schärfeziehen. Aber die Übung gruppiert sich um eine Geschichte, eben die des verschwundenen U-Bahn- Zugs. Das heißt, man hört ihn, aber man sieht ihn nicht. Dem Akustischen wird hier die höhere materielle Gewalt zugetraut. Die Verantwortlichen sind alarmiert. Wo der Zug durch die Röhren röhrt, könnte es zu einem Zusammenstoß kommen – aber wo? Gerade als der Held in Betrachtung einer Achterbahn des Rätsels Lösung fast gefunden hat – das Möbiusband –, frißt der Projektor den Film. Das Licht geht an. Der zur Beherrschung der Situation fest entschlossene Moderator, Peter Schumann, eilt nach vorn. Also, der Filmapparat sei jetzt vollständig kaputt. Es wird nicht mehr weitergehen. Leiderleider. Laute der Enttäuschung. „Geld zurück!“- Rufe. Der Regisseur wird zur Diskussion nach vorn gebeten. Das Publikum murrt, es will nicht diskutieren. Es hat 12 Mark bezahlt und will den Film. Der Moderator beschwichtigt: „Wir werden das Ende der Geschichte erzählen.“ Das Murren verstärkt sich. Jetzt kommt die Überlegenheit der Verstärkeranlage zum Einsatz: „Nein, das müssen Sie bitte einsehen...“ Der Regisseur, ein bärtiger junger Mann, ergreift das Mikrophon und fängt an die Handlung weiterzuerzählen. Also, der Held trifft jetzt den Professor, der den U-Bahn- Zug entführt und in eine andere Dimension bugsiert hat. Der macht ihm klar, daß das ganze Problem darin besteht, daß die Menschen eben nur glauben, was sie sehen. Da hat er recht, auch das Publikum will die Geschichte nicht hören, sondern sehen. Der Moderator setzt sich durch, der Regisseur erzählt weiter. Mittlerweile kommt die Botschaft, daß man den Film wahrscheinlich zwei Tage später noch einmal zeigen wird. Das Publikum teilt sich in drei Lager: Die einen wollen das Ende der Geschichte, andere ihr Geld zurück, wieder andere verbitten sich, daß man jetzt schon die Pointe verrät. Konfusion und Aufbruch: Die Organisatoren können die Unmutigen zwar zum Schweigen bringen, aber festhalten können sie sie nicht. Wer ins Kino geht, will eine Botschaft sehen und nicht hören, selbst wenn sie das Gegenteil zur Botschaft hat. Imma Harms
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