: Une Question de feeling
■ Der Pfefferberg ganz im Zeichen der Trikolore: Die ersten Francofolies de Berlin – vier Abende mit Popmusik und Chansons von Stars und Sternchen aus Frankreich
Wir befinden uns im Jahre 1997 n. Chr. Ganz Europa ist von der US-Unterhaltungsindustrie besetzt... Ganz Europa? Nein! Ein von unbeugsamen Gauloise-Rauchern bevölkertes Land hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.
Niemand zieht mit solcher Verve gegen den amerikanischen Kulturimperialismus in Film, Funk und Fernsehen zu Felde wie Frankreich und wirkt dabei trotz gelegentlich allzu selbstverliebtem XXL-Pathos immer noch sympathisch und überzeugend. Dabei verdeckt das dauernde Gerede von „Kultur“ und „Identität“ lediglich, daß es nicht zuletzt um schnöde Dinge wie Macht und Marktanteile geht, n'est-ce pas?, und daß auch Pop-Kultur längst ein Schmiermittel vorausschauender Wirtschaftspolitik ist. Um mit der angloamerikanischen Übermacht kulturindustriell mitzuhalten, bedarf es großer Anstrengungen, die jenseits des Rheins bekanntlich nicht gescheut werden: Film- und Radioquoten, eine rigide Sprachpolitik und nachhaltige Förderung des Pop-Exports sind nur ein paar Elemente einer Generalstrategie.
Den großen Musikfestivals Frankreichs, dem „Printemps de Bourges“ und den allsommerlichen „Francofolies“ in La Rochelle, kommt dabei die Aufgabe zu, dem frankophonen Liedgut ein Forum zu bieten, auf daß es von dort ausstrahle in alle Welt. Und nicht nur von dort, verbreiten sich die populären Festivals doch inzwischen auch außerhalb der Landesgrenzen. Vor dreizehn Jahren gegründet, haben die „Francofolies“ in den letzten Jahren Ableger in Kanada, Belgien und Argentinien etabliert.
Nachdem im vergangenen Jahr schon ein paar hübsche Testballons starteten, gehen an diesem Wochenende in Berlin nun die ersten deutschen „Francofolies“ über den Pfefferberg. Ein „Showcase“ der derzeitigen francophonen Pop-Prominenz ganz im Zeichen der Trikolore, aber mit Beteiligung lokaler Bands aus Berlin, die vor allem das Vorprogramm bestreiten.
Die Auswahl sei „une question de feeling“, sagte Jean-Louis Foulquier, Mentor und Direktor der „Francofolies“, und so ist für fast jeden Geschmack etwas dabei. Gleich zum Auftakt wird die unvergeßliche Sixties-Ikone Jane Birkin ins Rennen geschickt. Mit „Versions Jane“ hat die einstige Gainsbourg-Muse fünfzehn Titeln ihres verstorbenen Lebensabschnittspartners neues Leben eingehaucht, und mit diesen rearrangierten Klassikern im Gepäck ruft sie uns dessen melancholisch-zerknittertes Genie ins Gedächtnis zurück. Die Gainsbourg-Séance leitet die Berliner Schauspielerin Andrea Plany mit ihrem rollenverspielten Chansonprogramm „blau en bleu“ ein.
Am Freitag verweist der weltmusikalische Schwerpunkt auf den Reichtum der französischen Musikszene, der sich auf der Vielfalt der Regionalismen ebenso gründet wie auf der Magnetkraft des metropolitanen Zentrums Paris. Dessen Ausstrahlung, nicht nur auf die ehemaligen Kolonien, ist ungebrochen. Der stete Zustrom von Menschen, Ideen und Klängen ließ die Kapitale zur wahren Weltmusikhauptstadt kulminieren, zum Knotenpunkt der erdkugelumspannenden Kommunikation der Weltmusiken.
Von dieser verkehrsgünstigen Anbindung profitiert das korsische Vokalensemble Les nouvelles polyphonies de corse, welches bei seiner letzten Studioaufnahme mit John Cale und Patty Smith zusammentraf, ebenso wie der Exil-Algerier Khaled, dessen jüngstes ×uvre „Sahra“ in Paris, Kingston und Los Angeles abgemischt wurde: Polyphonies de France. Fraglich ist allerdings, ob sich der mitreißende Rai-Pop des allseits beliebten Knuddelbären Khaled mit dem schwermütig sakralen Gesang aus Korsika verträgt – vielleicht kann ja der verspielt-vertrackte Orient-Jazz des ägyptischen Kanunspielers Hossam Shakar und seiner Berliner Band Rahala zwischen diesen Extremen vermitteln.
Eine runde Sache ist dagegen der dritte Abend: Für Samstagnacht-Fieber bürgt die umwerfende Funkkapelle Mad in Paris, deren straighte Partymucke umrahmt wird von diversen Rappern und HipHop-Musikern, namentlich Mellowbag, Lafima und Aziza A. Vergleichsweise schwer haben wird es das junge französische Chanson, reinkarniert im bräsigen Breitwand-Poprock eines Pascal Obispo und im chansonesken Geklimper der elegante Chanteuse Enzo Enzo. Eher ein Fall für eingeschworene Frankophile, von denen es nach diesem Wochenende freilich einige mehr geben dürfte. Daniel Bax
Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, heute abend, 20 Uhr: Chanson Andrea Plany/Jane Birkin; Freitag 20 Uhr: World Music Les nouvelles polyphonies corses/Khaled; Samstag 21 Uhr: Rap-Funk Aziza- A/Lamifa/Mad in Paris; Sonntag 20 Uhr: Chanson Christin Marquitan/Pascal Obispo
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen