: Ein Herr Herz ohne Herz
■ Gennadi Polokas „Rückkehr des Panzerkreuzers“ (Forum)
Können so nur Russen schwärmen? Gennadi Poloka hat sein wunderbar verrücktes Werk der „heißgeliebten Filmkunst“ gewidmet. Um seine Leidenschaft für dieselbe zu beweisen, betitelte er seinen neuen Film nach dem legendären „Panzerkreuzer Potemkin“ und hat dessen Schöpfer, Sergej Eisenstein, selbst als Handelnden eingebaut: Eisenstein kommt 1925 nach Odessa, um den „Panzerkreuzer Potemkin“ zu drehen. Der nachgeborene Regisseur Polokow läßt Eisenstein auf Johann Franz Herz treffen, einen ehemaligen Deutschlehrer aus Göttingen und tödlichen Idealisten.
Johann Franzowitsch Herz hat Bakunin, Marx, Nietzsche, Lenin und Hegel studiert und herausgefunden, daß der Marxismus das Beste für die Menschheit ist. Also reiht er sich bei den roten Kosaken ein und zieht nach der Revolution nach Odessa. Dort herrscht die Hysterie der Neuen Ökonomischen Politik, die in Sowjetrußland für kurze Gründerjahre sorgte. Nun ist Herz wie alle Proselyten ein besonders eifriger Bannerträger seiner Überzeugungen. Er trinkt keinen Alkohol, ist nicht bestechlich und achtet auf genaue Einhaltung der Gesetze.
Polokas Film beginnt als temporeiche Satire, kann dieses Konzept jedoch angesichts seines Themas, die Anfänge des Stalin-Terrors, am Ende vor sich selbst nicht rechtfertigen. Nach neunzig Minuten ist Schluß mit lustig, und „Woswraschtschenije Bronenosza“ gerät zur Tragödie, die vorhersehbar vollzieht, was in den bissigen Anfängen angelegt war. Gennadi Poloka karikiert Johann Herz als Figur, die liest, statt zu leben, als Betrachter ohne Menschlichkeit.
Kein Klischee ist Gennadi Poloka zu schlicht, läßt es sich doch immer noch dicker auftragen. „Gehen Sie zurück!“ hatte man Johann Herz anfangs im Bahnhof zugerufen, ein Satz von unerwarteter Tiefe. Doch Herz wird komplett Formel: Bürokratie plus Denunziation gleich Staat. Wehe, wenn Prinzipien zum Leben erwachen. Wer hingegen „fiktiv ist, der darf alles“. Anke Westphal
„Woswraschtschenije Bronenosza – Die Rückkehr des Panzerkreuzers“. Regie: Gennadi Poloka. Rußland 1996, 150 Min.
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