"Berserker der Weltgeschichte"

■ Vor 50 Jahren lösten die Alliierten den Staat Preußen als "Träger des Militarismus" auf. Die Deutschen begrüßten das Verbot, stritten aber über Preußens Anteil am NS-Staat

Preußens Gloria ging sang- und klanglos unter. Als der Alliierte Kontrollrat mit seinem „Gesetz Nr.46“ am 25. Februar 1947 die fast 300jährige Geschichte des Landes beendete, nahm die Öffentlichkeit davon kaum Notiz. Die Bevölkerung hatte andere Sorgen: Der kalte Winter 1946/47, das Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen, die Konferenz der Außenminister der vier Alliierten in Moskau und ihre Entscheidung über die Zukunft Deutschlands. Über die Vergangenheit, zu der Preußen ab dem 25.2. 1947 nun auch offiziell gehörte, gingen die Meinungen weit auseinander. „Die Nazis haben das Erbe Preußens pervertiert“, sagten die einen. „Preußen führte zum Nationalsozialismus“, urteilten andere.

Dieser Auffassung waren auch die Alliierten – und dies war Gesetz. „Der Staat Preußen, der seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen ist, hat zu bestehen aufgehört“, erklärten sie. „Geleitet von dem Interesse an der Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit der Völker“ erließ der Kontrollrat den Beschluß: „Der Staat Preußen, seine Zentralregierung und alle nachgeordneten Behörden werden hiermit aufgelöst.“

Nur der Berliner Zeitung war dies eine Aufmachermeldung auf der ersten Seite wert. In einem Kommentar begrüßte die Zeitung die „Entpreußung Deutschlands“: Preußen sei der „rückständigste Staat Deutschlands geworden, in dem sich der Militarismus auf Kosten der Wohlfahrt des gesamten Volkes mästete“.

Auf gleicher Linie lag das Neue Deutschland. In dem Staat habe sich „eine Junker- und Militärkaste mit den Industriekönigen zur Unterdrückung des deutschen Volkes vereinigt“. Schuld an der Katastrophe Deutschland sei allein der Einfluß Preußens: „Das Hohenzollernsche Kaiserreich, der Erste Weltkrieg, das Hitlerreich und der Zweite Weltkrieg sind Ergebnisse der Verpreußung Deutschlands.“ Das ND nutzte das Preußen-Verbot als Begründung für die Kollektivierung in der sowjetischen Zone: „In Brandenburg und Sachsen ist die Auflösung Preußens durch die Enteignung von Junkern, Nazis und Kriegsverbrechern schon eingeleitet. In Niedersachsen und Westfalen lebt jedoch noch immer dieses Preußen.“

Auch die Welt weinte Preußen keine Träne nach: In diesem Land war „Staat nur ein Abstraktum, der Mensch nur Untertan, Geist nichts anderes als der Diener der Macht und Macht nur Selbstzweck“. Die preußische „Metaphysik des Kasernenhofs“ sei besonders gefährlich, wenn „der Geist mundtot gemacht wird, wenn die Elite von der Masse der beflissenen Untertanen zum Schweigen verurteilt wird. Dann setzt sich der moderne Staat in Bewegung wie eine überheizte Maschine und berserkert durch die Weltgeschichte – wie es Preußen bis zum bitteren Ende tat.“

Tagesspiegel und Spiegel schwiegen sich aus, einen Gegenstandpunkt vertraten nur wenige. Der Kurier wies darauf hin, daß der „Mythos“ vom aggressiven Preußen „100 Jahre Geschichte der Genügsamkeit überspringe“. Die Reihe von Friedrich dem Großen über Bismarck zu Hitler sei ein „Kitschbild der NS-Propaganda“. Auch die Zeit schließlich sah Preußen als das „notwendige Übel“ zur Einigung Deutschlands und wies die Theorie von Hitler als dem Erben Bismarcks zurück: „Der Aufbruch ins Grenzenlose und Maßlose ist so unpreußisch wie nur möglich, und deshalb ist Hitler so unpreußisch wie möglich. Die nüchterne und wortkarge Atmosphäre um den preußischen Staat hat mit dem Nationalsozialismus keinerlei Ähnlichkeit.“

Preußen war 1947 aber sowieso schon lange tot, das Verbot nur „Leichenschändung“, meint der Preußen-Experte Sebastian Haffner in seinem Buch „Preußen ohne Legende“. Das Ende des Preußentums habe bereits mit der Reichsgründung 1871 und dem Aufgehen in Deutschland begonnen. Preußens Ende sei spätestens 1932 gekommen, als die letzte SPD-Regierung Preußens von Reichskanzler Papen entmachtet wurde, die Ministerien von der Reichswehr besetzt wurden und Preußen als „Reichsland“ seine Eigenständigkeit gänzlich verlor.

Für Haffner ist Hitler denn auch keineswegs der Erbe Preußens: „Preußen war ein Rechtsstaat. Der Rechtsstaat aber war das erste, was Hitler abschaffte. In seiner Rassen- und Nationalitätenpolitik hatte Preußen immer eine noble Toleranz walten lassen. Hitlers Rassen- und Nationalitätenpolitik war das extreme Gegenbild der preußischen. Das extreme Gegenbild preußischer Nüchternheit war auch Hitlers persönlicher Stil, seine Demagogie und theatralische Massenberauschung. Und wenn es für Hitlers Außenpolitik, seine gigantomanischen Eroberungsideen, in der deutschen Geschichte überhaupt einen Anknüpfungspunkt gibt, dann war es die österreichische Vision eines mitteleuropäischen Großreichs von 1850.“ Bernhard Pötter