: Hennemann ins Rathaus?
■ Aus ganz vertraulichen Planspielen des Wirtschafts-Staatsrates und des Vulkan-Konzernchefs
Als die SPD-Mitglieder am 10. Juni 1995 für Henning Scherf und gleichzeitig für die große Koalition votierten, waren viele komplizierte Überlegungen aus den aufregenden Tagen davor gegenstandslos geworden. Sie wären für immer in den Aktenvernichtern verschwunden, hätte Friedrich Hennemann selbst nicht so sorgfältig alles aufbewahrt. Denn Scherf war damals für Rot-Grün im SPD-internenen Kandidaten-Streit gewesen und man ging eigentlich davon aus, daß mit seiner Person auch sein Programm die Mehrheit der Parteistimmen bekommen würde. Viele einflußreiche Personen in Bremen wollten genau das verhindern – was tun „am Tag danach“ , war also die Frage.
„Nun wird Scherf alles daran setzen, die knappe rot/grüne Mandatsmehrheit in der Bürgerschaft für einen linken Senat zu organisieren“, so hieß es in einem „Entwurf“ für die Erklärung „am Tag danach“. Ein vollständig vorformulierter Text dafür war in der Wirtschaftsbehörde entstanden. Staatsrat Dr. Frank Haller schickte ihn am Samstag 12.35 Uhr per Fax an die Konzernzentrale des Bremer Vulkan am Domshof. Dort saß Friedrich Hennemann, damals noch uneingeschränkt anerkannter Konzern-Führer und machte eigenhändig stilistische Verbesserungen. „Nicht nur ich habe diesen Text damals von Haller bekommen“, versucht Hennemann heute seine Rolle als Ko-Autor herunterzuspielen. Dazu paßt nicht, daß er bis in stilistische Kleinigkeiten korrigiert. „Die CDU ist bestürzt“ über das Ergebnis der SPD-internen Abstimmung, hatte Haller vorformuliert. Hennemann strich das handschriftlich und schlug staatsmännisch vor: „Die CDU reagiert auf...“
Kern des Haller/Hennemann-Vorschlages: Die CDU sollte „in die Offensive gehen“ und mit der AfB und einzelnen SPD-Abgeordneten eine Sanierungs-Mehrheit bilden. Als „zuverlässiger Spitzenmann“ kämen in der SPD Leute wie MdB Volker Kröning oder Claus Grobecker in Frage. Vortragen sollte das Haller/Hennemann-Papier aber der CDU-Spitzenkandidat Ulrich Nölle. „Für mich wird endgültig klar, daß die SPD für uns kein zuverlässiger Bündnispartner ist“, war da auf dem Spickzettel für Nölle vorformuliert. Man traute Nölle selbst solche Sätze nicht zu.
Hennemann hatte sich, wie sich aus seinen persönlichen Notizen ergibt, schon früher Gedanken über die optimale Landesregierung gemacht. Am 26. Mai 1995 hatte er sich mit Rebers getroffen, einmal auch mit Rebers und Nölle gemeinsam. Der Inhalt sei sehr allgemein gewesen, erinnert sich Rebers heute. Ziel des Gespräches für Hennemann: Sondierungen für eine Anti-SPD-Koalition mit CDU und Grünen. Auf drei eng beschriebenen Seiten formulierte Hennemann in einem Sprechzettel für Rebers die Strategie: Rebers sollte der CDU drohen, falls die eine große Koalition betreibe, würden alle AfB-Abgeordneten eher für Rot-Grün stimmen („um Klarheit in der politischen Auseinandersetzung zu schaffen“). Es gehe darum, so formulierte Hennemann für Rebers, dem „traditionellen Klüngel der Altparteien“ um Neumann und Wedemeier nicht weiter die Macht zu überlassen. „Dem überheblichen Treiben der SPD“, so sollte Rebers damals sagen, müsse „ein Ende gesetzt werden“. Rebers selbst, auf diesen Rede-Entwurf heute angesprochen, ist überrascht: An das Gespräch mit Hennemann erinnert er sich gut. Daß Hennemann die Strategie-Spielchen weitergesponnen hat, wußte er bisher nicht.
Bei derartigen Spekulationen war natürlich immer auch die Frage, wer Präsident des Senats werden sollte – wenn nicht Scherf mit einer rot-grünen Koalition. Drei Tage vor dem Gespräch mit Rebers notierte Hennemann unsicher: „Für den Fall: Ich würde gebeten werden?“ Unter der Überschrift „Geheime Gedanken“ bereitete Hennemann für den Fall dann sogar eine Erklärung vor, in der er seine Gedanken sammelte: „Ich habe nie auch als Vorstandsvorsitzender des Konzerns in seinen äußersten Krisen verschwiegen, daß ich Sozialdemokrat bin, und ich bin stolz darauf. Aber als Bürgermeister und Präsident des Senats kandidiere ich als Bremer Bürger. Und ich bewerbe mich...“ Und so weiter. Hennemann verwarf die kühne Idee aber wieder. „Der Kanzler setzt auf Nölle“, notierte er an anderer Stelle.
Auch für den Ghostwriter Nölles aus der Chefetage des Wirtschaftsresssorts, Haller, stand fest, daß an Nölle kein Weg vorbeiginge: „Dabei muß die CDU die Führungsrolle, die ihr mehr denn je nach dem Rückzug Wedemeiers und dem wahrscheinlichen Scheitern Scherfs in der Bürgerschaft (bei dem Versuch einer rot-grünen Mehrheitsbildung, d. Red.) inhaltlich ausfüllen“, so sollte Nölle am Tag nach der SPD-Abstimmung für Rot-Grün vor seinen Vorstand treten. Damit Nölle das ausfüllen konnte, sollte er mit den besten Beratern umgeben werden. „Die Gremien der CDU beauftragen ihren Bürgermeisterkandidaten, entsprechende Vorgespräche zu führen“ endet der Beschluß-Entwurf für die CDU aus dem Büro des Wirtschafts-Staatsrates am Tag vor der SPD-Mitgliederbefragung. K.W.
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