: Verabredung zum Hochloben
Nach dem 1:1 zwischen dem VfL Bochum und dem FC Bayern München grassieren im Ruhrstadion leicht übertriebene Superlative ■ Aus Bochum Christoph Biermann
Hinterher klopften sich die Kontrahenten gegenseitig die Schultern wund. Während Giovanni Trapattoni mit der Bewertung „großes Spiel beider Mannschaften“ noch fast zurückhaltend blieb, schob Klaus Toppmöller schon das Werturteil „Riesenspiel“ nach, und Uli Hoeneß krönte die Belobigungsorgie mit dem Etikett „sensationell, eine der besten Partien der Saison“. Das war nun zwar alles etwas übertrieben, sprach aber wohl weniger von der überragenden Klasse der vorherigen neunzig Minuten als von der Erleichterung auf beiden Seiten, nicht verloren zu haben.
Die Hemmnisse von Trapattonis Zweckfußball streiften die Bayern nur zwanzig Minuten lang ab. Nach gutem Auftakt waren sie längst „wieder in Lethargie verfallen“, wie Christian Ziege anmerkte, da gab der VfL Bochum mit dem Führungstreffer durch Thorsten Kracht das Startzeichen zu erneutem Angriffsschwung. Endlich überschritt Lothar Matthäus auch einmal die Mittellinie und wurde vom Ausputzer zum Libero. Endlich erhielten die beiden zuvor schon sehr engagierten Spitzen Klinsmann und Zickler die notwendige Unterstützung. Die Bochumer Abwehr war in heillose Verwirrung gestürzt. Und als sich Olaf Schreiber mit Krämpfen herumplagte, kam endlich auch dessen Gegenspieler Mario Basler zu seinem großen Moment. Ein Antritt, dem kein Bochumer widerstehen konnte, eine genaue Flanke auf Alexander Zickler, und Jürgen Klinsmann drosch den Ball ins obere linke Eck.
„Ich will den Stolz sehen, heute gab es ihn“, sagte Trapattoni. Seine Mannschaft hatte sich nicht hängenlassen, die Gespenster von Karlsruhe waren verscheucht. Nur, so fragte sich nicht allein Alexander Zickler: „Es ist schon verwunderlich, daß wir nie ein ganzes Spiel so spielen.“ Auch Vizepräsident Karl-Heinz Rummenigge, der die Verabredung zum gegenseitigen Hochloben wohl verpaßt hatte, zählte: „Dreißig Minuten wurde gut gespielt, aber es gab auch dreißig Minuten Probleme.“ Die Gründe für die Wechselhaftigkeit der Mannschaft waren auch in Bochum die bereits bekannten. Die italienische Defensivtaktik der Bayern birgt in sich das Problem, den Schwung zu verlieren, und die Kreativspieler im Team bleiben unsichere Kantonisten.
Vor allem Mario Basler blieb trotz einiger glänzender Momente in der zweiten Halbzeit seltsam matt und unbeteiligt. Vielleicht war es auch Bockigkeit, weil er wegen der Kritik an seiner Auswechslung beim verlorenen Pokalspiel in Karlsruhe zu einer „Spende“ (Hoeneß) von 10.000 Mark verdonnert worden war. Und Mehmet Scholl zog es bei seinen beiden besten Szenen vor, selber aufs Tor zu schießen, anstatt zu besser postierten Mitspielern zu passen. „Ja! Ja!“ natürlich hätte er da abspielen müssen, meinte auch Trapattoni und verteidigte Scholl trotzdem. Der hätte nach der Pokalniederlage in Karlsruhe „ein wenig Polemik“ abbekommen und sich unbedingt rehabilitieren wollen. Aber: „Ich verstehe die Spieler.“
Auch Bochums Trainer war voll der Milde und grundfroh, die hektische Woche nach dem verwehten Nicht-Auswärtsspiel bei St. Pauli nicht noch mit einer Niederlage abschließen zu müssen. Gelöst wie selten sagte Klaus Toppmöller das, was er immer sagt, wenn seine Mannschaft Fehler macht: „Wir sind noch in der Lernphase.“ Selbst darüber, daß der Ausgleich aus einem Konter entstand, mochte er sich nicht so grämen wie seine Spieler: „Uns fehlen eben noch Cleverneß und Routine.“ Thorsten Kracht und Thomas Stickroth dagegen hatten sich kurz nach Schlußpfiff darüber in die Haare bekommen, daß die Ausführung des Freistoßes vor dem Bayern-Treffer nicht verzögert worden war. Torwart Uwe Gospodarek fluchte lauthals, daß „alle nach vorne rennen, um das 2:0 zu machen“. Und Dariusz Wosz war mit dem Unentschieden „einfach nicht zufrieden“.
Allerdings konnte Wosz zumindest persönlich eine gute Bilanz ziehen. Wieder einmal war er bester Spieler auf dem Platz. Sein schüchtern vorgetragener Wunsch, „am Mittwoch in Israel würde ich schon gerne mal eine Halbzeit spielen“, müßte eigentlich erhört werden. Berti Vogts saß auf der Tribüne, die ausgezeichnete Leistung von Wosz wird ihm kaum entgangen sein.
Irgendwie gab es am Samstag im Ruhrstadion also nur Nicht-Verlierer. Vermutlich hätte man den traditionell gemeinsam schunkelnden Bayern- und VfL-Fans auch keinen Sieger zumuten dürfen.
Bayern München: Kahn - Matthäus - Babbel, Kuffour - Basler, Hamann, Strunz (75. Nerlinger), Scholl, Ziege - Zickler (85. Jancker), Klinsmann
Zuschauer: 36.344; Tore: 1:0 Kracht (55.), 1:1 Klinsmann (65.)
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