: Die Opposition findet in der Küche statt
In Weißrußland wird auf kritische Journalisten und Politiker geschossen. Auf einer schwarzen Liste stehen die Namen von zwölf „persönlichen Feinden“ von Präsident Lukaschenko ■ Aus Minsk Barbara Oertel
Da, wo Weißrußlands Präsident Alexander Lukaschenko bereits den wirtschaftlichen Aufschwung sieht, gucken alte Menschen und kinderreiche Familien in leere Töpfe und Kühlschränke. Zumindest für einige hundert von ihnen war das Maß am vergangenen Samstag voll: Organisiert von der Weißrussischen Nationalen Front (BNF) versammelten sich rund 300 Menschen auf dem Jakub-Kolas- Platz im Zentrum von Minsk.
Junge Frauen trugen Plakate mit Aufschriften wie: „Wir wollen unsere Kinder satt und gesund sehen“, „Unseren Kindern eine würdige Zukunft“. Rentnerinnen schlugen wie besessen mit Holzlöffeln auf leere Kochtöpfe ein. Unter dem Lärm von Trillerpfeifen und Rufen wie „Es lebe Weißrußland“ und „Nieder mit Lukaschenko“ zogen die Demonstranten, flankiert von Dutzenden Milizionären, zum Gorki-Park. Die Miliz ließ die Demonstranten gewähren – diesmal zumindest.
Vor zehn Tagen, anläßlich eines Protestmarsches von Studenten, die westlichen Botschaftern Petitionen übergeben wollten, waren die Handlanger Lukaschenkos noch anders zur Sache gegangen. Dutzende Teilnehmer wurden zusammengeknüppelt und mit hohen Geldstrafen belegt. Rund 40 Studenten sitzen immer noch im Knast und warten auf ihr Urteil.
Was es bedeutet, in einem Land in der Opposition zu sein, in dem seit dem Referendum vom vergangenen November alle demokratischen Regeln außer Kraft gesetzt sind, bekamen nicht nur die Studenten zu spüren. Vor zehn Tagen schossen Unbekannte auf das Haus des Chefredakteurs der unabhängigen Tageszeitung Swoboda, Igor Germenschuk. Der Abgeordnete des letzten legitimen Parlaments, Anatoli Lebedko, wurde am Abend desselben Tages im Eingang seines Hauses von zwei jungen Männern zusammengeschlagen. Auf eine Anfrage an die Regierung bezüglich mafioser Strukturen im Umfeld des Präsidenten hatte jener Lebedko unlängst öffentlich entgegnet: „Bald werden Sie solche Fragen nicht mehr stellen.“
Doch auch nach dem Vorfall will Lebedko nicht lockerlassen, sieht allerdings der weiteren Entwicklung des Zehn-Millionen-Einwohner-Staats pessimistisch entgegen. „In Weißrußland regiert die Angst. Die Opposition findet abends in der Küche statt. Nur da trauen sich die Leute noch zu sagen, was sie wirklich denken. Morgens gehen sie wieder zur Arbeit und tun so, als sei alles normal“, sagt Lebedko. Gemeinsam mit anderen bekannten Oppositionellen steht Lebedko auf einer Liste von insgesamt zwölf „persönlichen Feinden des Präsidenten“. Unlängst erging der Beschluß, den besagten Personen die Anstellung in staatlichen Unternehmen und Behörden zu verweigern.
Die rund 70 oppositionellen Abgeordneten des geschaßten Parlaments, das ganz zufällig seit dem Referendum wegen Bauarbeiten geschlossen ist, treffen sich derzeit wöchentlich in einer Privatwohnung. Vor kurzem gründeten einige von ihnen eine Kommission, die Material über die Gesetzesverstöße Lukaschenkos sammelt und dem Obersten Gericht vorlegen will. Doch wie lange die Treffen hier noch stattfinden werden, weiß im Moment niemand.
Olga Abramowa, ebenfalls ehemalige Parlamentsabgeordnete und heute Mitarbeiterin des Ost- West-Zentrums in Minsk, rechnet mit dem Schlimmsten. Spätestens dann, wenn die Opposition in den kommenden Wochen zu weiteren Demonstrationen aufrufen wird. „Es ist durchaus möglich, daß die Vertreter der Opposition verhaftet werden. Wir sind darauf vorbereitet“, sagt sie. Mit gemischten Gefühlen erwartet sie den Bericht der OSZE über die politische Entwicklung Weißrußlands nach dem Referendum. Die Stellungnahme wird für heute erwartet.
Die Regierung hat keinen Zweifel daran gelassen, wie sie auf mögliche Sanktionen reagieren will. Während eines Besuchs von Vertretern der OSZE und des Europarats Ende Januar in Minsk ließ der weißrussische Außenminister Ivan Antonowitsch wissen, daß die Regierung den eingeschlagenen Weg zu Ende gehen werde. „Das Volk hat seine Wahl getroffen, und wir respektieren diese Wahl, egal von welcher Seite Druck auf uns ausgeübt wird.“
Wie sehr allen voran der weißrussische Präsident seine Untertanen respektiert, durften kürzlich die Bewohner eines Hauses am Prospekt der Partisanen im Zentrum von Minsk erfahren. Unter Androhung von Strafen ordnete die Miliz an, am nächsten Tag die Fenster nicht zu öffnen. Der Grund: Lukaschenko, der auf seinem Weg zu einem Vortrag an besagten Haus vorbeifahren werde. „Heute verlangen sie, die Fenster nicht zu öffnen. Morgen befehlen sie uns, den ganzen Tag auf dem Boden zu liegen, mit dem Gesicht nach unten. Und wir werden uns hinlegen. Wir sind ja so tolerant“, lästerte die unabhängige Tageszeitung Naradonaja Wolja.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen