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Kein Anschluß mehr unter Cohn-Bendit

Nach acht Jahren nimmt Daniel Cohn-Bendit heute Abschied als Multikulti-Dezernent in Frankfurt am Main. Auch als Amtsleiter blieb der Grüne stets unbequem, redselig und kämpferisch  ■ Von Heide Platen

Dany, „Le Rouge“, Marc Daniel Cohn-Bendit, der mit der Knubbelnase, dem immer ein bißchen zerstrubbelten, roten Haarschopf, der lauten, manchmal fast charismatisch vibrierenden Stimme und dem Bandwurmtitel ist keiner, der an seinem Amte klebt. Der ehrenamtliche Stadtrat und Dezernent des Frankfurter Amtes für Multikulturelle Angelegenheiten (AMKA) nimmt heute offiziell seinen Abschied.

Mittendrin hat er in seinen fast 52 Lebensjahren immer gestanden, wenn nicht im Fettnäpfchen, dann wenigstens am liebsten im Mittelpunkt: bei den Studentenunruhen der 60er Jahre in Paris, dann beim Häuserkampf in Frankfurt, bei den nervenaufreibenden Gründungs- und Flügelkämpfen der Grünen. Da ist er Realpolitiker aus Überzeugung geworden. Und wenn er von etwas überzeugt ist, rastet und ruht er nicht, bis auch alle anderen seiner Meinung sind. Egal, ob er heftigen Unmut erzeugt – sei es mit der Forderung nach dem Bosnien-Einsatz der Bundeswehr oder aber in frühester Stunde der Asyldebatte nach einem Einwanderungsgesetz. „Dany“, sagt ein Freund, „ist wenigstens eins. Immer ehrlich – bis zum Exzeß.“ Das macht ihn angreifbar. Und irritiert, wenn er versucht zu verstehen, auf welcher Seite der Barrikade er von Amts wegen steht und warum zum Beispiel Frankfurter Ausländervertreter ihm Anpassung vorwerfen. Oder warum junge Studenten ausgerechnet ihn mit Eiern bewerfen. Dany im Establishment, das liegt zwar in der Natur der Sache, nicht aber im Rollenverständnis des ehrenamtlichen Stadtrats und Dezernenten für Multikulturelle Angelegenheiten, der einmal Herausgeber der Blätter „Wir wollen alles“ und, in Reminiszenz an gehabte Straßenschlachten, des Pflasterstrand war.

„Ehrenamtlich“, darauf besteht er, hatte er im Juli 1989 das Multikulturelle Amt übernommen. Kokett vergißt er aber auch nicht anzumerken: „Mein Gehalt entspricht nicht meiner politischen Bedeutung.“ Aus dem Nichts war das AMKA als grüne Wahlkampfforderung entstanden und von Anfang an fest in Frauenhand. Amtsleiterin Rosi Wolf-Almanasreh und Öffentlichkeitsreferentin Irene Katheeb hatten oft alle Hände voll zu tun, ihren quirligen, umtriebigen Chef im Zaum zu halten. Ein Redeverbot für das Ausplaudern spontaner Gedanken vor laufenden Kameras, wie es einst während der 68er Revolte von seinen Genossen gegen ihn verhängt worden war, konnten sie ihm nicht erteilen. Was aber macht man mit einem Chef, der in seinem Amte, von ständiger Neugier getrieben, kein klingelndes Telefon in Ruhe lassen kann, sondern sich sofort meldet, als sei er noch in seiner WG: „Ja, hier Dany!“? Cohn-Bendit geht, die Zukunft des Amtes ist noch ungewiß. Die Frankfurter CDU möchte es gern loswerden, zögert aber wegen der unübersehbaren Erfolge des Dezernenten. Die FDP möchte es sofort auflösen, die SPD ist für den Erhalt, und die Grünen stellen sich ein Querschnitts- als „Zukunftsdezernat“ vor, in das multikulturell auch Jugend, Schule und Bildung einbezogen werden. Das AMKA, geben auch Kritiker zu, hat das Zusammenleben der Frankfurter atmosphärisch verbessert, Probleme zwischen Zugewanderten und Deutschen sichtbar gemacht und Lösungen erarbeitet.

Die Mittlerrolle von Cohn-Bendit ist unbestritten. Das hatten 1990 auch die indischen Sikhs gefunden, die ihn, untereinander zerstritten, für einige Wochen zum kommissarischen Leiter ihrer Frankfurter Gemeinde machten. Härtere Deeskalationsarbeit mußte der Dezernent leisten, als Kurden – Männer, Frauen, Kinder – sich in ihrem von polizeilicher Räumung bedrohten Zentrum verbarrikadiert hatten. In der Saalmitte standen die Benzinkanister. Und er schaffte es, daß eine der größten Kurdendemonstrationen im Mai 1993 nach kilometerlangem Zug durch die Stadt ohne Polizeieinsatz friedlich endete.

Sein vorerst letzter Frankfurter Coup schien ihm vor zwei Wochen selbst gewöhnungsbedürftig. Der 68er Straßenkämpfer klebte zusammen mit dem Frankfurter Polizeipräsidenten Plakate. Die werben nun von allen Litfaßsäulen um junge ausländische Kandidaten für den Polizeidienst am Main. „Richtig spannend“, soll er gesagt haben, „wird das erst, wenn es ganz normal ist, daß ein Türke einen Deutschen festnimmt.“

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