: Vom Liquidator zum Unternehmer
Anstatt Pleitefirmen möglichst schnell abzuwickeln, versuchen Konkursverwalter heute oft, Betriebe und Arbeitsplätze zu retten. Zunehmende Bankrotte: Zahl der Insolvenzanwälte auf zehn erhöht ■ Von Hannes Koch
Peter Leonhardt lebt vom Exitus. Von Firmenpleiten und Konkursen. Und er verdient nicht schlecht dabei. Am Kurfürstendamm betreibt der Rechtsanwalt eine noble Kanzlei mit 60 Beschäftigten. Peter Leonhardt ist Berlins renommiertester Konkursverwalter. Die Baufirma Maculan, der Maschinenbauer Werner und Niles: Die kompliziertesten und größten Bankrottbrocken der Stadt landen auf seinem Schreibtisch.
Die Summe seiner Einkünfte behandelt Leonhardt – er arbeitet seit 20 Jahren im Konkursgeschäft – als Betriebsgeheimnis. Der Umsatz freilich dürfte beträchtlich sein, denn Konkursverwalter sind gefragte Personen. Die Zahl der Unternehmenspleiten nimmt zu: 1996 stieg sie bundesweit auf rund 30.000. Wegen der miesen Wirtschaftslage mußten im vergangenen Jahr etwa zehn Prozent mehr Betriebe ihre Zahlungsunfähigkeit eingestehen als noch ein Jahr zuvor. Ähnlich dramatisch sieht es in Berlin aus: Beantragten im ersten Halbjahr 1995 etwa 800 Firmen das Konkursverfahren, waren es im gleichen Zeitraum des Folgejahres schon 950.
Um die Pleitenflut zu bewältigen, hat das Amtsgericht Charlottenburg unlängst zusätzlich zu den schon arbeitenden sechs Konkursanwälten vier weitere ernannt. Ihre Aufgabe sei es, so Peter Leonhardt, aus den gestrandeten Betrieben „das Bestmögliche für die Gläubiger herauszuholen“. Auf der Liste der finanziellen Forderungen, die aus dem Verkauf oder der Versteigerung des Firmenvermögens befriedigt werden müssen, stehen die Ansprüche der Belegschaft ganz oben. So sollen die ArbeiterInnen ihren Lohn bis zum Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist bekommen, bevor Banken oder andere Unternehmen ausgezahlt werden. Leider funktioniere das oft nicht, wie Leonhardt zu berichten weiß. Denn die Gläubiger aus Industrie- und Finanzwelt könnten in der Regel sogenannte Sicherungsrechte vorweisen: Eine Maschine, die der bankrotte Betrieb gekauft hat, gehört bis zur Bezahlung noch dem Firmengläubiger. Sie kann im Rahmen des Konkurses nicht versilbert werden und kommt deshalb auch nicht der arbeitslosen Belegschaft zugute. Bleibt die Abhängigkeit vom Arbeitsamt.
Angesichts der grassierenden Arbeitslosigkeit „hat sich unsere Arbeit dramatisch verändert“, sagt Rechtsanwalt Leonhardt. Fungierte der Konkursverwalter früher als Abwickler und Liquidator, spielt er heute oft den Unternehmer und Sanierer. Während der Suche nach Möglichkeiten, einer Firma neues Leben einzuhauchen, beschäftigen die Anwälte als provisorische Geschäftsführer mitunter Tausende von ArbeiterInnen. Einige hundert Beschäftigte stehen bei Peter Leonhardt permanent auf der Lohnliste.
„Bis zur Mitte der siebziger Jahre flog der Betrieb sofort auseinander, weil sich die Beschäftigten andere Arbeitsplätze suchten“, erklärt der Insolvenzanwalt. Doch freie Stellen gibt es heute kaum noch. Auch politische Einflußnahme zum Beispiel des Senats ist dafür verantwortlich, daß die Kanzlei mit den Gläubigern verhandelt, wie der Betrieb weitergeführt werden kann.
Den Gläubigerfirmen kann ebenso damit gedient sein, das klamme Unternehmen nicht vollends untergehen zu lassen. Als Leonhardt den Konkurs der Maschinenbaufirma Fritz Werner verhandelte, zahlte der Autohersteller Porsche fünf Millionen Mark, um die Produktion aufrechtzuerhalten. Auf Werner-Maschinen wurden nämlich Teile des neuen Sportwagenmotors hergestellt – ohne weitere Anlagen und Ersatzteile hätten die Nobelschlitten nicht ausgeliefert werden können.
In langwierigen Verhandlungen um die Maschinenfabrik Niles gelang es Peter Leonhardt, einen neuen Investor aufzutreiben und immerhin 80 Jobs zu erhalten. Insgesamt, so wird geschätzt, bewahren die Konkursanwälte bundesweit jährlich bis zu 25.000 Beschäftigte zahlungsunfähiger Unternehmen vor dem Gang zum Arbeitsamt.
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