: Emotionen platt im Watt
Der Naturschutzstreit an der Nordsee kühlt ab ■ Von Sven-Michael Veit
Ob denn nun zusammenwachse, was zusammengehöre, sei noch unklar, orakelte gestern ein schleswig-holsteinischer Landtagsabgeordneter. Aber es sei „immerhin ein Silberstreif am Horizont“ zu erkennen am Himmel über der Nordseeküste. Der Mann kam gerade aus einer mehrstündigen Sitzung des Umweltschausschusses, der im nordfriesischen Tönning über den Synthesebericht zum Ökosystem Wattenmeer beraten hatte. Die erste gemeinsame Tagung mit Verfassern des Ökoberichts und Experten des Nationalparkamts, so sein Fazit, habe „Gräben zugeschüttet“.
Das sah auch Amtsleiter Bernd Scherer so: „Wir wollen keine Marschen unter Wasser setzen“, beteuerte er, und diese Botschaft sei bei den Kritikern auch angekommen. So hätten nunmehr 21 von insgesamt 52 nordfriesischen Gemeinden der bislang umstrittenen Neubeschilderung der Wattregion zugestimmt. Er sei erleichert, daß die Debatte über die Erweiterung des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, die in dem 800 Seiten starken und für 34 Millionen Mark erstellten Experten-Bericht vorgeschlagen worden war, „sachlicher“ geworden sei.
Dazu allerdings gehört nicht viel: Noch am 27. November, als in der Stadthalle Tönning die Expertise erstmals öffentlich über den Bericht diskutiert wurde, hatten wütende Demonstranten eine Strohpuppe erhängt und verbrannt, die dem grünen Umweltminister Rainder Steenblock nicht unähnlich sah (taz berichtete).
Der Widerstand am Watt gegen eine Ausweitung des Nationalparks umfaßt gleichermaßen Fischer, Schäfer , Hoteliers und lokale Honoratioren, die vor einer „rotgrünen Kieler Ökodiktatur“ warnen. Mehr Naturschutz an der Küste, so die allgemeine Befürchtung, würde die Bevölkerung „zu Bewohnern von Reservaten ohne wirtschaftliche Existenzgrundlage“ machen. Kurgäste, die zugunsten von Wattwürmern vom Strand vertreiben würden, lautete eines der Schreckensszenarien. Die Naturschutz-Ikone der Westküste, der Amrumer Georg Quedens, polterte, „auswärtige Umweltschützer“ wie der BUND oder der WWF wollten „Kontrolle über unbotmäßige Friesen“ erlangen; Silke Petersen, Sprecherin des Nordseebäderverbandes, warf „den Öko-Ideologen“ vor, sie hielten „auf dem Deich grasende Schafe für eine größere Bedrohung als einen Öltanker“.
„Die Emotionen sind zum Teil schon sehr hochgekocht worden“, konstatierte gestern die Vorsitzende des Umweltausschusses, die CDU-Abgeordnete Frauke Tengler. Nach dieser Sitzung habe sie allerdings den Eindruck, das sei „zum Teil auch unnötig gewesen“.
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