piwik no script img

Peter Pan am Ball

Unverdrossen strebt Zehnkampf-Olympiasieger Daley Thompson (38) eine Karriere als Fußballprofi an  ■ Aus London Ronald Reng

Mit 38 hat Daley Thompson entdeckt, daß es noch etwas anderes im Leben gibt, als den ganzen Tag auf der Tartanbahn im Kreis zu rennen. Er rennt jetzt dem Fußball hinterher. Die Hände in die Hüften gestemmt, die Stutzen heruntergekrempelt, hält er auf dem matschigen Trainingsplatz des englischen Premier-League-Klubs FC Wimbledon in der Abwehr die Stellung. Die gegnerischen Stürmer rauschen heran, zweimal, dreimal, und sie rauschen an Thompson vorbei. Kein guter Tag heute.

Doch mögen ihm die Kollegen im Trainingsspiel den Ball noch so oft abnehmen – die Idee, Fußballprofi zu werden, kriegt keiner aus Daley Thompsons Kopf. Vor gut einem Jahr ist er die fünf Kilometer von seinem Haus nach Wimbledon gefahren und sagte: Ich will mitmachen. Daß er mit der ersten Mannschaft übt, wußte Manager Joe Kinnear zu verhindern. Aber so einfach wegschicken konnte er einen wie Thompson ja auch nicht, den Zehnkampf-Olympiasieger von 1980 und 84, dessen Duelle mit dem Deutschen Jürgen Hingsen zu den großen Kapiteln der Sportgeschichte gehören. Zweimal Weltmeister, zweimal Europameister war er, viermal verbesserte er den Weltrekord. Kinnear überwies ihn an das Reserveteam.

Dort analysierte Trainer Lawrie Sanchez kurz seine Fähigkeiten („ungemein stark beim Kopfball, sein rechter Fuß ist ausreichend, sein linker nur zum darauf Stehen zu gebrauchen“) und konzentrierte sich darauf, Thompson vor allem eines beizubringen: „Ich habe ihm gesagt, du bist zu alt, es gibt keine Zukunft als Profi für dich“, berichtet Sanchez, „aber er hält sich für Peter Pan.“ Jeden Tag ist Thompson wieder da, obwohl er keinen Penny dafür bekommt, obwohl Sanchez ihn in keinem Punktspiel der Reserve ranläßt. Obwohl er schon einen mißglückten Versuch hinter sich hat. 1995 spielte der Leichtathlet im Ruhestand für Mansfield, richtig als Profi, auch wenn es nur ein viertklassiges Team in der Third Division war. Das heißt, er saß dort auf der Auswechselbank – an guten Tagen.

Über alles kann man mit Thompson reden, eine kluge Antwort, einen lustigen Spruch weiß er immer. Hingsen? „Wir sind jetzt Freunde. Letztes Jahr war er mal hier, wir haben viel gelacht. Das heißt, es war wie früher beim Zehnkampf: Er machte Witze, und ich lachte.“ Aber wenn es um seine Profipläne geht, dann ist bei Thompson Schluß mit Logik und Witz. Dann spricht nur noch Besessenheit aus ihm. Zu alt? „Ich werde besser, mein Freund.“ Gescheitert in Mansfield? „Weißt du, Mansfield ist 200 Meilen weit weg von London. Da hat es meiner Frau nicht gefallen, deshalb sind wir da wieder weg.“ Und warum läßt ihn Sanchez jetzt nicht spielen? „Ich habe keine Zeit, das ist das Problem, mein Freund. Wenn die Spiele am Wochenende sind, bin ich sehr beschäftigt.“ Beschäftigt? „Ja, mit meiner Familie.“

Seine Zehnkampf-Karriere hat Daley Thompson Anfang der neunziger Jahre beendet, als er merkte, der Körper schafft die ganz großen Leistungen nicht mehr. Doch geistig ist er vom Sport nie losgekommen. Es füllte ihn nicht aus, sich auf die Rolle des ehrwürdigen Altmeisters zu beschränken, hier mal auf einem Empfang Hände schütteln, da mal für ein paar Tausender repräsentieren. Sein Ehrgeiz trieb ihn weiter an, nun hinaus auf den Fußballplatz, wo ihm keine Stoppuhr unwiderruflich die Grenzen des Alters aufzeigt. „Sport ist mein Leben“, sagt er, und wenn er durchgeschwitzt vom Rasen geht, ein paar Späße mit den Mitspielern reißt, dann ist er glücklich. „Wenn du seinen Enthusiasmus verkaufen könntest“, sagt Sanchez, „würdest du Millionen Pfund verdienen.“ Sie mögen Thompson beim FC Wimbledon. Keiner hat was dagegen, daß dieser charmante Kerl mittrainiert. Daß sie seine Bemühungen ernst nehmen, kann er allerdings nicht erwarten.

In diesem Moment reißt ein Fußballer das Fenster der Umkleidekabine auf und brüllt heraus: „Der Reservetrainer wird interviewt! Der Reservetrainer – der hat doch nichts zu sagen!“ Sanchez schreit zurück: „Ich werde nach Daley Thompson gefragt. Daley Thompson!“ Der Spieler fängt an, brüllend zu lachen. „Daß Thompson davon träumt, Fußballprofi zu werden“, erklärt Sanchez, „das ist bei uns der Running Gag.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen