Zwischen den Rillen
: Detroit tickt anders

■ Techno kommentiert seine Ursprünge: Kirk deGiorgio alias As One

Da weiß man, was man hat. Denn wo As One draufsteht, ist garantiert Detroit drin. Wie niemand sonst hat sich der Engländer Kirk DeGiorgio, der Mann, der As One ist, dem typischen Technosound aus der Automobil- und Soulmetropole im Mittelwesten verschrieben. Und damit hat er relativ unbemerkt während der letzten Jahre einige der schönsten Platten gemacht.

Nun, zehn Jahre nachdem Derrick May, Juan Atkins und Kevin Saunderson ihren Mix aus Kraftwerk und George Clinton ausdrücklich Techno nannten und sie heute noch immer als die Gründerväter dieser Musik herangezogen werden, scheint es kaum möglich, von dem Detroitsound zu sprechen. Sein Merkmal ist ein rhythmisches Grundgerüst, dessen technologischer Ursprung (Drummaschinen der Marke Roland) betont wird. Darüber schwingen sich aber musikalische Elemente (Melodien, Hooklines, Vocals, Samples), die ein emotionales Gegengewicht zum „kalten“ Basistrack bieten. Daraus ist ein Stil von herbem Reiz entstanden, der wie die Synthese aus Ford und Motown klingt. Und der deutlich anders ist als die Housemusik, die zeitgleich im nahen Chicago entwickelt wurde und heute noch gepflegt wird.

Bei allem Widerwillen gegenüber solchem strikten Nachziehen historischer Linien ist dennoch zu sagen, daß sich eine ästhetisch relativ homogene Musik über die Jahre gehalten hat. Als Grund wird von Detroiter Produzenten immer die Abgeschiedenheit der Techno- Geburtsstadt genannt. Denn sowenig Techno in der US-Musikbranche irgendeine ökonomische Bedeutung hat, sowenig spielt diese Musik in Detroit eine Rolle.

Keine Clubs, keine Plattenläden, schmale Fanbasis, wenig musikalischer Input von außerhalb. Unbeabsichtigt arbeiten die dort gebliebenen Produzenten weiter an einem Mythos und einer musikalischen Form, die vor zehn Jahren schon toll war und heute noch bloß wenige interessiert.

Vielleicht ist es dieses Paradox – ewiger Mythos vs. mangelnde Präsenz –, die Kirk DeGiorgio reizt, sich der Sache mehr als eingehend zu widmen. Denn schließlich ist er ausgebildeter Historiker und fand in Detroit einen geographischen Fixpunkt, an dem die Gesetze des unbarmherzigen Fortschreitens der Zeit aufgehoben scheinen. Detroit tickt anders. Und dieses Ticken muß in DeGiorgios englischen Ohren so vehement geklungen haben, daß es noch in die Details seiner eigenen Produktion nachhallt. Dazu zählen auch die Namen seiner Projekte. Sein Hauptalias As One deutet schon Schrumpfung einer zehnjährigen Geschichte – in Popverhältnissen ein Äon – zu einem Moment an. Und Future Past, der Name eines weiteren Projekts, läßt dann wieder genau diesen Moment aus und behauptet damit die Zeitlosigkeit der mit ihm bezeichneten Musik.

Hermeneutik hin, Hermeneutik her – es kann kein Zufall sein, daß DeGiorgio als Future Past 1992 gerade beim Detroiter Label Planet E eine seiner ersten Platten herausbrachte. Denn darin zeigt sich, daß DeGiorgios Adaption amerikanischer Technomusik in Detroit nicht als schmeichelhafte Nachmache empfunden wurde, sondern als innovativer Kommentar der Hauptwerke. Und als DeGiorgio diese Anerkennung gerade von Planet E erfuhr, werden die Korken geknallt haben. Denn hinter diesem Label steht bekanntlich kein anderer als Carl Craig, sagenumwobener Nachkomme der Urahnen und einer der Statthalter der heutigen Detroitfestung. Kirk DeGiorgio hat das Mirakel von Detroit gelöst.

Daraufhin ging er die Sache grundsätzlich an. Beim britischen Label New Electronica brachte er zwei episch angelegte Werke heraus („Reflections“, 1994, „Celestial Soul“, 1995), auf denen er das vorhandene Material ausgiebig durchdeklinierte und dadurch einige neue Wendungen entdeckte. Als er 1996 beim dem Gimmick nicht abgeneigten Londoner Label Clear die LP „A Message in Herbie's Shirt“ veröffentlichte, befürchtete man, sein Projekt rutsche ins Drollige ab. Aber die Platte überzeugte so, daß sie in Kürze, um einige Episteln erweitert, noch einmal als CD erscheinen wird.

Auf seiner aktuellen Veröffentlichtung „The Art Of Prophecy“ wagt sich DeGiorgio um einige Zentimeter über die von ihm bisher beschrittenen Pfade hinaus. Da kann einem schon mal der Atem stocken, wenn er einen Discoriff sampelt und Drum'n'Bass rattern läßt.

Aber genau das zeichnet ihn aus. Denn wie wenige andere weiß er von den tiefen Verbindungen zwischen alten Detroitbrechern und neuem Breakbeat. Nicht umsonst unterstützt er Leute wie Photek auf seinem Label Opart. Bei einer von ihm zusammengestellten Doppel-CD knüpft er genau an diese bisher wenig beleuchtete Verbindung an. Und wie nebenbei behandelt er auf „Checkone...“ das oft erwähnte, aber bisher von niemandem überzeugend dargestellte Kapitel über die Beziehung zwischen Jazz und neuer Elektronik.

DeGiorgios Darstellung vermittelt keine oberflächliche Synthese zwischen ratternden Beats aus dem Sampler und synkopierten HiHats eines Jazzdrummers. Er läßt Photek nicht aus Joe Henderson anno 1976 hervorgehen und führt Stacey Pullen nicht auf einen 20 Jahre alten Track von Julien Priester zurück. Keine Geschichtsklitterung also, sondern das Beharren auf bloßer Ähnlichkeit von Musik, die unter vollkommen anderen Umständen entstanden ist. Wenn etwas klingt wie eins, ist es das noch lange nicht. Martin Pesch

As One: „A Message in Herbie's Shirt“ (Clear/Efa: CD-Edition erscheint Ende März)

As One: „The Art Of Prophecy“ (Shield/PIAS/Rough Trade)

Diverse: „Checkone: Applied Rhythmic Technology“ (Xtreme/Neuton)