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„Dabei war er doch nur ein Zigeuner“

In Rumänien ist der „König aller Roma“, Ion Cioaba, zu Grabe getragen worden. Pompös ging es zu, aber auch gewöhnlich. Die dynastische Nachfolge ist geregelt. Die Krone trägt fortan Sohn Forin  ■ Aus Sibiu Keno Verseck

Vielleicht hätte sich Emilian nie viele Gedanken darüber gemacht, wer er ist und warum die Dinge so sind, wie sie sind. Emilian hatte in dem Dorf bei Bukarest viele Freunde. „Meine Mutter und mein Vater konnten nicht lesen und nicht schreiben. Aber ich habe es gelernt. Ich hätte Ingenieur werden können bei der Kooperative, hätte richtig Geld verdient, mir etwas aufgebaut, etwas Gutes gemacht.“ Er erzählt es oft, vielleicht zu oft.

Als er 27 Jahre alt war, zündeten die Dorfnachbarn eines Nachts das Haus an, in dem er wohnte. Weil es einen Streit gab. Weil dabei ein Mann einen anderen umbrachte. Weil der Täter zufällig Zigeuner war und das Opfer zufällig Rumäne. Weil alle Zigeuner Schuldige waren. Und weil deshalb auch Emilian schuld war. Die Polizei mischte sich nicht ein.

Das war in Bolintin, am 7. April 1991. Emilian flüchtete mit seiner Familie, und irgendwann erfuhr er auch von dem Streit und davon, daß jemand umgebracht worden war. Zurückkehren konnte er nicht. „Du weißt doch, wie es da ist“, sagt er, „wir waren ja zusammen da.“ Das war im Herbst 1993. Die früheren Freunde schauten Emilian mißtrauisch an. Ein Alter auf der Dorfstraße sog an seinem Zigarettenstummel und meinte: „Wenn die Zigeuner zurückkommen, tja, dann zünden wir sie eben wieder an.“

Emilian wohnt jetzt mit seiner Frau in einem gemieteten Zimmer in der rumänischen Hauptstadt. Er studiert Management und arbeitet nebenbei, um sein Studium zu finanzieren. „Seitdem sie mein Haus angezündet haben, ist etwas in mir geschehen“, sagt er. „Ich frage mich immer: Wie konnte Gott das zulassen? Ich verstehe es nicht. Das hat mein Herz zerstört. Das klingt vielleicht komisch, nicht? Aber es ist wahr.“

Emilian schaut auf das graue Gesicht des Toten im Sarg. „Er war damals gleich in Bolintin und sprach mit den lokalen Behörden. Ein paar Tage später erzählten wir ihm unsere Fälle. Er nahm dann mit dem ehemaligen Staatspräsidenten Kontakt auf. Viel genutzt hat es allerdings nicht. Bei den neuen Machthabern in Bukarest hat der Druck mehr gewirkt. Letzte Woche hat endlich unser Prozeß begonnen. Er war immer da, nachdem es Überfälle auf Roma gab, und hat versucht zu helfen, wo er nur konnte. Cioaba hat bis zum letzten Augenblick für uns gekämpft.“

Im Hof des Hauses ist fast kein freier Platz mehr. In der Mitte steht der Sarg, daneben brennt ein großes Lagerfeuer. Auf der Terrasse des Hauses lehnt an der Wand die grün-blaue Fahne der Roma mit dem Wagenrad in der Mitte. Immer neue Kränze werden durchgereicht. „Dem König Ion Cioaba“, „Dem internationalen König der Roma“, „Dem König aller Roma“ steht auf den Schleifen.

Einige Nachbarn haben Leitern an die Betonmauer gestellt und schauen herüber in den Hof, andere sind auf Garagen geklettert. Zwei Dutzend Kameraleute und Fotografen haben sich auf dem Balkon postiert. Auf dem Dach der gegenüberliegenden Fabrik wartet die Belegschaft. Vor dem Haus des Ion Cioaba, entlang der Straße, stehen einige tausend Menschen. Der Verkehr staut sich zu beiden Seiten kilometerweit. Die meisten Zuschauer sind Rumänen, neugierig, wie es beim Begräbnis des Königs der Roma zugeht.

Der selbsternannte König der Roma war in Rumänien und im Ausland der halb beeindruckende, halb karikaturhafte Held eines exotischen Spektakels. Ein Spektakel, das mit Cioabas Krönung am 8. September 1992 begann. Das sich um seinen sagenhaften Reichtum drehte. Um die 1,6 Kilogramm schwere Goldkrone, um die Ringe an Cioabas Fingern, um seinen meterlangen Cadillac. Statt des Überflusses an Roma-Elend endlich Zelt-, Planwagen- und Lagerfeuerromantik. Darüber hinaus diente Cioaba speziell in Rumänien als Kronzeuge, daß Roma nicht diskriminiert werden. Denn er selbst sagte das immer wieder. Ansonsten galt er als ungebildet und dumm, weil er schlechtes Rumänisch sprach. Niemand kam auf die Idee, daß es für ihn eine zutiefst fremde Sprache war und daß er seine Gedanken in seiner Muttersprache klarer ausdrücken konnte.

Auch am Tag seines Begräbnisses bekommt die rumänische Presse das Spektakel geboten, das sie erwartet. Noch bevor die Trauerfeier beginnt, wird der einzige Sohn von Ion Cioaba, Florin, zum neuen König ausgerufen. „Diese Tragödie hat uns zutiefst niedergeschlagen“, sagt der einzige Parlamentsabgeordnete der Roma, Madalin Voicu. „Aber wir können nicht ohne König leben. Es lebe der König aller Roma, Florin Cioaba.“ Der neue König setzt die Krone auf, nimmt das Zepter in die Hand und legt eine Art Eid ab. „Nicht nur mein Vater ist gestorben, sondern der Vater aller Roma. Auch ich werde für unser Wohl kämpfen, für unsere Rechte, für unsere Einheit.“

Während der Trauerfeier beschwören die Redner die Religiosität und den Patriotismus des Toten. Zwischendurch, wie nebenbei, immer wieder die Bemerkung, daß auch Roma Menschen seien. Wie eine verbotene Sehnsucht. Ein charismatischer Prediger der Pfingstler-Gemeinde, der Cioaba angehörte, nennt den Verstorbenen „das erleuchtete Kind der Roma“ und „einen großen rumänischen Patrioten“. Er erzählt davon, wie Cioaba Gott suchte und zu ihm fand. Er spricht ein Vaterunser, einen Segen für die rumänische Nation und alle „mitwohnenden Nationalitäten“. So hießen die Minderheiten unter der Ceaușescu- Diktatur.

Der Anwalt Nicolae Bobu redet als einziger in der Sprache der Roma. „Wir sind Menschen, ein Volk wie jedes andere. Wir hätten auch einen Staat und eine Armee haben können. Aber das wollten wir nicht. Wir sind das einzige Volk, das sich nur Gott unterworfen hat, so wie der teure Verstorbene.“ Luminiţa, eine der vier Töchter Cioabas und Dichterin, rezitiert ein patriotisches Gedicht auf ihren Vater. Es klingt, als sei es verfaßt für das „Singen Rumäniens“, das berüchtigte nationalistische Kulturspektakel Ceaușescus. Und auch hier immer wieder das Wort: Mensch.

Cioaba präsentierte sich in der rumänischen Öffentlichkeit gerne als rumänischer Patriot. Er spielte den Rassismus gegen Roma herunter. Anläßlich der Überfälle und Pogrome gegen Roma, die in den letzten Jahren immer wieder stattfanden, wiederholte er jedesmal gebetsmühlenartig, daß es sich nicht um ethnische Diskriminierung handele. Er wollte gerne glauben, daß es so sei, und er hoffte, daß die Roma anerkannt werden würden, wenn sie sich nur loyal verhielten. Er wollte vermitteln, beruhigen und die Rumänen nicht unnötig gegen die Roma aufbringen. Er glaubte nicht an scharfe Proteste, nicht an einen Rechtsstaat. Er vertraute auf seine Autorität, auf die Eindruck machenden Insignien seiner Herrschaft. Er war deshalb für rumänische Behörden ein angenehmer Verhandlungspartner.

Es hat wenig geholfen. Das ist auch am Tag seines Begräbnisses zu spüren. Seine rumänischen Nachbarn reden nur Gutes von dem Verstorbenen. Aber das ändert sich, als sich der Trauerzug in Richtung Friedhof bewegt. Tausende neugierige Menschen säumen die Straßen. Überall schauen Leute aus den Fenstern, die Geschäfte sind leergefegt. Auf dem Hauptplatz wartet eine riesige Menschenmenge — die ganze Stadt scheint das Begräbnis zu verfolgen.

Es ist ein pompöses, aber auch ein gewöhnliches Begräbnis. Vor dem Trauerzug spielt eine Blaskapelle getragene Märsche. Dahinter ein Armeelastwagen mit dem Sarg und einem großen Gemälde des Verstorbenen, das ihn in königlichen Kleidern zeigt. Am Straßenrand weisen die Zuschauer immer wieder auf die Mercedes-Limousinen und andere teure Wagen hin, die im Trauerzug fahren. Getuschel. „Schau dir bloß diese Autos an.“ Eine Frau sagt wütend: „Also wir Rumänen können uns ein solches Begräbnis nicht leisten. Denken Sie mal darüber nach, woher die das Geld haben.“ Ein paar Oberschüler schütteln abfällig die Köpfe. „Das ist ja wie ein Begräbnis für einen Staatsmann. Dabei war er doch nur ein Zigeuner.“

Nicolae Gheorghe, Soziologe, Mitbegründer der rumänischen Roma-Bewegung und einer der angesehensten Roma-Politiker in Europa, erinnert sich an Ion Cioaba. „Wir haben uns 1973 kennengelernt, und durch ihn bekam ich Einblick in die traditionellen Roma-Gemeinschaften. Anfang der achtziger Jahre versuchten wir, den verfolgten Roma zu helfen. Wir waren zum Beispiel zusammen bei den Roma in Sarulești neben Bukarest. Die Polizei hatte sie geschlagen und ihnen das Gold weggenommen. Wir fanden sie im Wald, es war im Winter, im Januar. Einer ist später an den Schlägen im Krankenhaus gestorben. Wir diskutierten mit ihnen, dann schrieb ich einen Protest, und Cioaba unterzeichnete ihn. So waren wir in vielen Dörfern. Cioaba unterschrieb immer die Proteste, nicht ich. Dann wurde der Druck von der Polizei zu groß, er kam ins Gefängnis. Danach hörte er auf mit den Protesten. Nach 1990 trennten sich unsere Wege. Cioaba wollte Loyalität gegenüber der Regierung beweisen, und ich habe auf dem Weg des Protestes weitergemacht. Ich weiß nicht, ob ich ohne ihn dazu imstande gewesen wäre. Denn er hat den Anfang gemacht.“

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