Das stille Drei-Sekunden-Ereignis

■ Das Fotoforum zeigt Arbeiten des Bildreporters Volker Hinz im Altonaer Museum

„Ich glaube an das Einzelbild“, sagt Volker Hinz bestimmt, „und an die drei Sekunden: Man guckt drei Sekunden auf ein Bild und bekommt ein Gefühl oder nicht.“

Seit 1974 arbeitet der in Hamburg geborene und auch hier lebende Fotograf für den Stern. Wöchentlich versorgt er die Illustrierte, manchmal Geo, Life, Vanity Fair oder Paris Match mit seinen Fotoreportagen. Darauf besteht Hinz und darauf ist er stolz: Journalist sei er, nicht Künstler. Er reist in Krisengebiete und nach Hollywood, bannt das namenlose Elend genau wie namhafte Filmstars, Sportler, Schriftsteller, Modedesigner und Staatsmänner auf Papier. Verbinden tut diese Auftragsarbeiten, daß sie innerhalb kürzester Zeit entstanden sind: Drei Tage für Ruanda sind schließlich nicht mehr als zehn Minuten für Joe Cocker in der Hotellobby.

Volker Hinz begann mit 22 Jahren, seine Fotos an Zeitungen zu verkaufen, mit 24 übernahm der Autodidakt bereits die Leitung der Bonner Sven Simon-Bildagentur. Bis heute ist er von seinem Job komplett begeistert. „Ich fühle mich gesegnet“, verkündet der bärtige 50jährige ohne jedwede metaphysische Anspielung: „Ich habe einen Beruf, der mir Spaß bringt, reise viel, sehe ständig Neues,Interessantes und verdiene Geld damit.“Klingt wie das Paradies, klingt nach Klischee. Ist aber für Hinz ganz unsentimental „ein Privileg. Ich weiß das zu schätzen.“

Bei dieser Hingabe an seinen nichtalltäglichen Alltag vermutet man gar nicht, daß der Familienvater noch andere Leidenschaften hat. Doch es gibt sie, und die Lust trägt einen Namen: 6x6 Rolleiflex. Während die Reportagen für die Illustrierten meist als farbige Bildstrecken aufgenommen werden, macht Hinz, „als Hobby“, nach den Fotosessions jeweils noch ein paar Schwarzweiß-Aufnahmen. Ungefähr 200 Fotografien sind so in den letzten zehn Jahren entstanden; 45 davon zeigt nun das Fotoforum der Fabrik im Altonaer Museum.

In dem schmalen Grafikgang des Hauses empfängt den Besucher ein überlebensgroßes Portrait von Woody Allen. Der New Yorker Regisseur und Schauspieler zeigt sich dem ersten Blick, wie wir ihn kennen: mit schwarzem Pulli, zerzaustem schütterem Haar und seinem Markenzeichen, der schwarzen Brille vor den traurigen Augen. Es ist die Art, wie er zurückblickt, die das Foto besonders macht: Allen scheint dem Betrachter direkt in die Augen zu schauen, ihn etwas zu fragen, und gleichzeitig hält er die Hand vor den Mund, als wolle er ihn zum Verstummen bringen.

Dieses Paradoxon bestimmt die Ausstellung: Alle Bilder fordern auf, ihre Geschichte zu erfinden und gleichzeitig still zu sein. Das Einzelbild enthält bereits die ganze Geschichte: Kreml-Flieger Mathias Rust steht da als braver Junge, auf dessen gestutzte Flügel gleichmütig der ausgestopfte Vogel an der Wand verweist; Schlittschuhe an Füßen und Händen zeigen die Eiskunstläuferin Katharina Witt als gelähmtes Tier; der blinde Musiker Stevie Wonder lächelt aus dem Spiegel.

Hinz setzt seinen Eindruck einer Person trotz des meist unflexiblen räumlichen Kontextes stets in eine konkrete Bildidee um. Manchmal scheint die zu offensichtlich: Giorgio Armani und Calvin Klein etwa fotografiert er mit einem Bügel. In anderen Fällen funktioniert das Naheliegende: William S. Burroughs zeigt er mit Knarre auf einem Schotterweg. Natürlich ist auch das pure Inszenierung, aber sie entspricht dem inszenierten Leben des Beatniks.

Stille Portraits zeigt Volker Hinze, die in der Inzenierung des Augenblicks ein zeitloses Moment der Persönlichkeiten offenlegen. „Jedes Bild ist ein Ereignis“, behauptet der Fotograf über das Machen“– für das Betrachten gilt, im nichtreißerischen Sinne, gleiches.

Christiane Kühl

Altonaer Museum, bis 13. April