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Frisch, sauber, frustriert

Die Mainzer Straße im Wandel: Aus der einstigen Besetzerhochburg wurde in wenigen Jahren die Vorzeigemeile des Bezirks Friedrichshain  ■ Von Matthias Fink

Auf dem IV. Georgen- und Parochial-Friedhof an der Boxhagener Straße wirkt der Blick auf die umstehenden Häuser wie ein Rundumschlag durch die Berliner Baugeschichte. DDR-Plattenbauten, ein ganz frisches Wohn- und Geschäftshaus, die Friedhofskapelle in neuromanischem Klinkerstil und vor allem Mietskasernen aus der Kaiserzeit. Zur Kreutzigerstraße hin sind sie bunt und besetzt, zur Mainzer Straße hin weiß und reinlich.

Auch wer aus anderen Richtungen auf die Mainzer Straße trifft, merkt schnell den Unterschied zu den übrigen grauen Straßen. Ausnahmen fallen hier um so mehr auf. Etwa das Haus Nummer 13. Türen und Fenster gibt es nicht mehr, das Dach und einige Decken sind durchgebrochen. Hier würde eine Besetzung wohl kaum lohnen. Nummer 20, an der Ecke zur Scharnweberstraße, ist zwar teilweise bewohnt, in den unteren Etagen sind trotzdem die Fenster mit dicken Blenden blockiert. Von Bauarbeiten ist auch hier nichts zu sehen, aber der Betrachter erfährt, daß er ein Proddukt der nordrhein- westfälischen Firma „Sitex – Sicherheitssysteme für Immobilien“ vor sich hat.

Andere Häuser suggerieren Erinnerungen an die gute alte Zeit. Über der Werbung vom „Mainzer Grill – Frisch, sauber und freundlich, eben menschlich“ steht verschnörkelt im Türsturz die Jahreszahl 1899. Damals trug die Straße erst wenige Jahre ihren Namen, und sie lag noch nicht in Berlin, in Friedrichshain schon gar nicht. Die Gegend zwischen Frankfurter Allee, Boxhagener Straße und Niederbarnimstraße gehörte als Ortsteil Friedrichsberg zur Gemeinde Lichtenberg. Mit der Eingemeindung 1920 kam sie zu Berlin. Erst 1938 fiel das Gebiet, zusammen mit dem südlich anschließenden Boxhagen, an den heutigen Bezirk Friedrichshain, der damals nach dem Lieblingsmärtyrer der Nazis „Horst-Wessel-Stadt“ hieß.

In den achtziger Jahren begann hier im Kiez die Sanierung, bei der man vor allem die Magistrale Frankfurter Allee mit sechsgeschossigen Wohnhäusern bebaute und dahinter gleich noch einige ärmliche Querstraßen versteckte. Die anderen, die man noch sehen konnte, wurden mit gelben Fassadenfarben ansehnlicher gemacht. Nicht so in der Mainzer Straße, denn die sollte ja doch weg.

In der Zerfallsphase der DDR erweckte die Straße als eine der ersten in Ost-Berlin das Interesse von Westlern. Während andere noch lernten, Prenzlau und Prenzlauer Berg auseinanderzuhalten, wurden in der Mainzer Straße Nägel mit Köpfen gemacht und die leerstehenden Häuser instand gesetzt. 13 Häuser waren im April 1990 bereits in Besetzerhand, wobei mitunter der geringe Anteil von Leuten mit blauem Paß beklagt wurde. Im Juli übernahm der Ostberliner Magistrat die (West-)„Berliner Linie“ und erklärte, die bis dahin besetzen Häuser zu tolerieren. In den Verhandlungen mit den Bewohnern ging es in den folgenden Monaten vor allem darum, die Häuser winterfest zu machen.

Doch als nach der Wiedervereinigung der rot-grüne Senat und der schwarz-rote Magistrat eine gemeinsame Stadtverwaltung bildeten, erhielt der Berliner Innensenator die Polizeihoheit. Bis dahin hatte sie bei dem lokalpolitisch wenig interessierten DDR-Innenminister gelegen. Nun ging alles sehr schnell. Nach der Räumung von drei Häusern in der Lichtenberger Pfarrstraße und im Prenzlauer Berg begannen am Abend des 12. November Ausschreitungen in der Mainzer Straße, die – drei Wochen vor der Wahl – den Ruf nach der ordnenden starken Hand aufkommen ließen. Schon zwei Tage später wurden sämtliche besetzten Häuser in der Mainzer Straße mit großem Einsatz von Polizisten und Gewalt geräumt. Aus Protest verließen die Grünen die Koalition mit der SPD. Die CDU gewann bei der Wahl kräftig Stimmen und wurde neue Koalitionspartnerin der SPD.

„Vielleicht ham se die Häuser saniert, und die Leute sind drinjeblieben“, entgegnet eine Schülerin, die in der Nähe wohnt, auf die Frage nach den sanierten Wohnungen. Andere wissen mehr. Ein grauhaariger Mann möchte daran erinnern, daß die Wasserwerfer nicht nur in besetze Häuser gezielt hätten. „Bezahlte Krawallmacher“ hätten sich wohl in die Häuser gemischt, die vorher friedlich gewesen seien. „Die hatten da auch eine Volksküche für arme Leute eingerichtet“, erinnert er sich.

„Det war uffjebauscht“, meint eine Passantin über die Berichte von aggressiven Zuständen in der Besatzungszeit. Viel Solidarität habe es zwischen den ungleichen Bewohnern gegeben. Lag das am gemeinsamen Feind? „Ich habe mich gefreut, als die Polizei gerannt ist“, sagt eine junge Frau und lacht. Auch vor kurzem hätten noch viele Nachbarn „mitgekämpft, als der Abenteuerspielplatz an der Kreutzigerstraße geräumt wurde“. Andere Anwohner winken lieber hastig ab, als sie nach dem heiklen Thema gefragt werden. 1990 hatte es immerhin auch eine Bürgerinitiative gegeben, die ein Ende der Zustände in den besetzten Häusern forderte. Da hatten sich doch zwei Männer am offenen Fenster geküßt! Für das „Tuntenhaus“ und das „Lesbenmütterhaus“ hätten sich viele Nachbarn wohl nicht hinter die Barrikade gestellt, an deren Platz heute eine Tempo-30-Holperschwelle vor einem „Burger King“-Laden verläuft. Gleich in der Nachbarschaft gibt es noch besetzte Häuser. Mit den Leuten von dort sei es heute mal so, mal so, meint eine junge Mutter mit Kinderwagen. Eigentlich sei es friedlich. „Aber neulich haben sie uns die Motorhaube vom Auto kaputtgemacht“, behauptet sie.

Woher die Leute in den schicken weißen Häusern kommen, fragt sie sich: „Hier zieht doch keiner hin, hier ist doch alles voll Hundekot.“

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