piwik no script img

Jod gegen Castoren

Mit Stunk und Traktoren protestieren Tausende am Wochenende gegen die Castor-Transporte  ■ Aus dem Wendland Philipp Banse

„Karneval?“Inge, in grünem Häubchen und Arztkittel, tut entsetzt. „Das ist bitterer Ernst! Hier, nimm deine Jod-Tablette.“Sie reicht ein Bonbon. Sonntag nachmittag am Atommüll-Endlager in Gorleben: Die 54jährige Inge gehört zur Strahlengruppe Woltersdorf. Mit Trecker und Hänger ausgerüstet wartet die Ini zusammen mit 3.000 Menschen und 500 weiteren buntgeschmückten Traktoren auf den Beginn der „Stunkparade“. „Eine Wahnsinnszahl“, freut sich die Vorsitzende der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg (BI), Birgit Huneke. Das beste sei aber, daß soviel vom „Landvolk“da sei, ein ansonsten stockkonservativer Bauernverein, der bisher nie gegen Castor-Transporte protestiert habe. Gegen zwei Uhr mittags springen 500 Motoren an: Die „Stunkparade“macht sich auf den Weg zum Verladekran in Dannenberg.

Protest schon am Samstag in Lüneburg: 20.000 AtomkraftgegnerInnen aus der ganzen Republik marschieren friedlich durch die Innenstadt, um gegen den Six-Pack der Castoren zu demonstrierten. Gewaltfrei und phantasievoll, auch wenn's ernst wird, da sind sich alle einig. „Wenn das am Sonntag so weitergeht, haben wir schon gewonnen“, freut sich Birgit Huneke. Selbst einige kritische Polizisten scheuen den Weg nach Lüneburg nicht. Sie fordern, die Interessen der Atomindustrie dürften nicht „unseren Grundrechten übergeordnet werden“.

Kaum eine Stunde später marschieren zwei Hundertschaften der niedersächsichen Polizei in die zwei Turnhallen der Bernhard-Varenius-Schule in Hitzacker ein. Ihr Auftrag: Die Hallen sollen geräumt werden. Gut eine Woche lang hatten 150 SchülerInnen zusammen mit ihren Lehrern und Eltern die beiden Hallen besetzt, um sie nicht der Polizei zu überlassen. „So ein Mist“, meint Sally und zittert am ganzen Körper. Als sich die 14jährige wie alle anderen von den Polizeibeamten raustragen läßt, hat sie Tränen in den Augen. Eine Stunde dauert die Räumung. Anschließend werden erste Feldbetten herangeschafft, um auch in diesen Turnhallen Bereitschaftspolizisten für den Castor-Schutz unterzubringen.

Am Sonntag läßt sich die Polizei zunächst nur per Hubschrauber blicken. Tausende aus den Zelt-Camps jubeln an der Kreisstraße 256 der „Stunkparade“zu. Trecker an Trecker tuckert vorbei, behängt mit Spruchbändern und Luftballons. Puppen aus Pappmasché winken den Massen zu. „Damit setzen wir neue Bilder!“ist Wolf Rüdiger Marunde überzeugt, denn die Proteste gegen den Castor-Transport „sind in erster Linie eine Medienschlacht“. Und diese Schlacht will der Zeichner Marunde gewinnen. Damit die Medien endlich über etwas anderes berichten als nur von „gewalttätigen Protest-Chaoten“. Am Abend blockieren dann rund 50 Trecker und 400 Demonstranten in Splietau die Straße Richtung Gorleben. „Was willste machen?“lautet der lakonische Kommentar eines Bauern, „morgen kommt doch keiner mehr auf die Straße.“Wo blockiert wird, taucht prompt die Bereitschaftspolizei auf und räumt.

Vor dem Verladekran in Dannenberg bleibt es derweil ruhig. Der bullige Beamte vom Bundesgrenzschutz spielt in aller Ruhe auf seiner Mundharmonika. So ruhig sei das vor den letzten Castoren hier nicht gewesen, brummt er. Diesmal werden die Castoren einen ganzen Tag lang am Verladekran stehen, bevor sie zum Endlager weitertransportiert werden. Tag X ist vermutlich der Dienstag. „Dann“, davon ist der Mann vom BGS überzeugt, „gibt's Rambazamba“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen