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Albaniens Sparer greifen rabiat zum Gewehr

■ Bürgerkriegsfolgen: Regierung tritt ab, Parlament verhängt Ausnahmezustand

Tirana (AP/dpa/AFP) – Trotz des Rücktritts der Regierung unter Ministerpräsident Aleksander Meksi halten die Unruhen in Albanien weiter an. Das Parlament hat inzwischen den Ausnahmezustand ausgerufen, „bis die öffentliche und verfassungsmäßige Ordnung wiederhergestellt ist“. Vor der Verabschiedung der Sonderverordnung beschloß die Versammlung ein entsprechendes Gesetz, durch das die in der Verfassung verbrieften Rechte wie Versammlungs- und Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden; weiter sollen Straßenbarrikaden errichtet, Kontrollposten aufgestellt sowie staatliche Güter geschützt werden. Im Süden des Landes herrscht nach Angaben der Nachrichtenagentur ATA völlige Anarchie: In Saranda überfielen Banden sämtliche staatliche Einrichtungen der Stadt. Aus dem dortigen Gefängnis wurden mehr als 200 Insassen befreit, in einer Polizeistation 400 Waffen erbeutet, Boote im Hafen wurden in Brand gesetzt.

In Vlora, wo in der Nacht zu Samstag insgesamt zehn Menschen ums Leben kamen, plünderten Demonstranten die Villa von Staatspräsident Sali Berisha und zündeten sie an. Es wurde mit einem „Angriff bewaffneter Kräfte aus Vlora“ auf Tirana gedroht, falls die Regierung nicht Kleinanleger entschädige, die durch dubiose Anlagefirmen ihre gesamten Ersparnisse verloren hatten. Viele Bürger seien aus der Stadt geflohen. Die Stadt Gjirokastär befindet sich im Generalstreik. Der Vorsitzende der oppositionellen Republikanischen Partei, Sabri Godo, sagte: „Das Land befindet sich bereits im Bürgerkrieg. Es gibt keine andere Bezeichnung für diese Rebellion.“

Der Rücktritt der Regierung Meksi wurde vom Oppositionsbündnis „Forum für Demokratie“ als unzureichend bezeichnet und als Täuschungsmanöver des Präsidenten kritisiert. Es fordert eine Übergangsregierung aus Fachleuten und vorgezogene Neuwahlen. Staatspräsident Berisha hingegen favorisiert weiterhin eine Regierung der stärksten Kraft, der Demokratischen Partei (PDS), die auch bisher das Kabinett stellte. Seine Einladung an die Opposition, über die Bildung einer neuen Regierung zu diskutieren, wurde abgelehnt. Zudem forderte die Opposition Berisha auf, seine von ihm für heute geplante Neuwahl durch das Parlament zu verschieben. Erst nach vorgezogenen Parlamentswahlen sollte der Präsident neu gewählt werden.

Italiens Außenminister Lamberto Dini warnte unterdessen, die Krise in Albanien betreffe ganz Europa. Er forderte im norditalienischen Valenza eine Intervention Europas, der USA und der internationalen Finanzinstitutionen, um die Krise zu beenden.

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