What's hot, what's not
: „Bewege deinen Hintern mehr“

■ Adrian Lyne („Flashdance“) verfilmt „Lolita“. Geschmack in und um Hollywood

Literaturverfilmungen, die von Hollywood ausgehen, nehmen immer mehr den Charakter einer Drohung an. „Emma“? Spiele gefälligst nicht Gott! „In Love And War“? Krieg unter Efeuranken ist gefälligst romantisch! „The English Patient“? Die Wüste hat zu beben – von den Leidenschaften der Europäer!

Die neue Leinwandadaption von „Lolita“, so stand in Vanity Fair, soll explizit sein – auch das klingt wie eine Drohung. Der Regisseur Adrian Lyne gehe, so stand weiter zu lesen, mit der Verfilmung von Vladimir Nabokovs Roman (1955) das größte Risiko seiner Karriere ein. Nabokovs Geschichte ist bekanntlich die eines mittelalten Mannes, der einer zwölfjährigen „Nymphette“ verfällt. Man stelle sich nun eine Minderjährige vor, die – Gegenlichtaufnahme! –, nur mit einer Pyjamajacke bekleidet, vor einem sabbernden Jeremy Irons (Humbert Humbert – männliche Hauptrolle) auf dem Bett sitzt und mehr. Lyne gibt dazu folgende Regieanweisungen: „Brillant! Bewege deinen Hintern mehr. Fuck, das ist gut! Schön. Drück den Rücken durch, Darling. Großartig.“

Selbst wenn sich tatsächlich bestätigen sollte, daß es in den eifernden Neunzigern schwieriger ist, einen solchen Film zu drehen, als es in den Fünfzigern oder Sechzigern war, langweilt das Theater um Lynes „Lolita“ ohnegleichen. Denn schon das Marketing, der Vorspann zum Film, den im übrigen noch niemand vollständig gesehen hat, zählt zu sehr auf empörte Gemüter. Dominique Swain, die neue Lolita, ist fünfzehn Jahre alt und ein Highschool-Girl aus Malibu. Angeblich schickte sie dem Regisseur heimlich ein Video von sich, als ihre Mutter verreist war. (Die ältesten Bewerberinnen auf die Hauptrolle sollen um die 26 gewesen sein.)

Vladimir Nabokov, der Autor, hat seine „Lolita“ vor Jahren für Stanley Kubrick zum Drehbuch umgeschrieben. Das Kubrick- Projekt wurde zwar ein Klassiker, doch Kubrick hat Nabokovs Stückvorlage wenig genutzt, und auch Adrian Lyne hielt sich kaum daran. Um so verwunderlicher, daß Nabokovs Sohn, der 63jährige Dmitri Nabokov, als inoffizieller Berater für Lynes neuen Film arbeitet.

Ein Schutzwall, so untauglich wie der antifaschistische, denn Dmitri Nabokovs Kommentar zu Lynes ersten Drehmustern war ebenso knapp wie vernichtend. „Oh boy!“ soll er gesagt haben. Bestellt zu prüfen, ob die künstlerische Integrität von Vladimir Nabokovs Werk auch in der Verfilmung gewahrt bleibt, sah sich Dmitri Nabokov bald eher unverlangten Beweisen moralischer Integrität ausgesetzt: Die Brüste und der Bauch von Lynes Lolita, darauf hat der Regisseur streng geachtet, gehören einem neunzehnjährigen Körperdouble. Dennoch wird sich Lyne zum Vorwurf der Kinderpornographie etwas einfallen lassen müssen.

Dann diese Hybris: Das Remake einer Verfilmung von Kubrick – da könne sich Lyne (Flashdance“, „Fatal Attraction“, „9 1/2 Weeks“, „Indecent Proposal“), auf dessen Seite die Kritiker schon seiner Filmographie wegen nicht stehen, gleich die Kugel geben.

1962 spielte James Mason den kinderliebenden Humbert Humbert, Sue Lyon die Lolita Haze und Shelley Winter Lolitas Mutter Charlotte. Melanie Griffith ist jetzt Charlotte, und auch Adrian Lyne boxt defensiv: „Mit so einem wundervollen Buch ist man als Regisseur immer arm dran. Man kann nur versagen. Warum es also nicht versuchen?“

Adrian Lyne wollte mit seiner Verfilmung so nah wie möglich an der literarischen Vorlage Nabokovs bleiben – explizit. Lynes gründliche Mühen, nur ja nichts falsch zu machen, erinnern einen fatal an falschen Marmor, der echten nachzuahmen sucht. Anke Westphal