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DDR-Grenzer auf Bewährung frei

Das Berliner Landgericht blieb mit seinem Urteil im Fall Peter Fechter im Rahmen der üblichen Urteile in Mauerschützenprozessen: 21 und 20 Monate auf Bewährung für die Angeklagten  ■ Aus Berlin Leif Allendorf

Sie saßen da wie kleine Jungs auf der Schulbank, die zur Strafpredigt gerufen wurden. Wagten nicht, sich zu rühren, geschweige denn, sich anzuschauen. Mit starrer Miene verfolgten Rolf Friedrich, 61, und Erich Schreiber, 55, die zweitägige Verhandlung.

Die beiden DDR- Grenzsoldaten hatten am 17. August 1962 ihre Gewehre auf Dauerfeuer gestellt; Peter Fechter brach unter dem Kugelhagel zusammen und verblutete. Zweimal entschuldigten sich die beiden dafür, zu Anfang und am Ende des Prozesses. Gestern sprach das Landgericht Berlin das Urteil. Rolf Friedrich wurde zu 21 Monaten verurteilt, Erich Schreiber zu 20 Monaten, in beiden Fällen auf Bewährung ausgesetzt.

In seinem Urteil berücksichtigte der Vorsitzende Hans-Jürgen Schaal, der heute 55jährige Erich Schreiber sei zur Tatzeit vor 34 Jahren gerade 20 Jahre alt gewesen und somit nach damaligem bundesdeutschem Recht als Jugendlicher zu sehen. Er sei damals „noch nicht altersgemäß entwickelt gewesen“, attestierte die Jugendgerichtshilfe in einem Gutachten vom Februar dieses Jahres.

Staatsanwalt Joachim Riedel hatte zuvor das Geständnis der beiden Mauerschützen als strafmildernd gewertet. Der Ankläger lobte in seinem Plädoyer die nüchterne Atmosphäre im Verfahren und kritisierte die Berichterstattung der Medien, die beide Angeklagen vorverurteilt hätten.

Der Verteidiger von Rolf Friedrich, Dirk Lammer, der ebenfalls auf Bewährungsstrafen „im üblichen Rahmen“ plädiert hatte, bezeugte seine Hochachtung gegenüber Peter Fechters Schwester Ruth. Diese hatte als Nebenklägerin betont, es gehe ihr nicht um die Bestrafung der Täter. Vielmehr habe sie das jahrzehntelange Schweigen um den Tod ihres Bruders brechen wollen. Uwe Gebhard, der Anwalt Erich Schreibers, hatte für seinen Mandanten Freispruch beantragt.

Rolf Friedrich und Erich Schreiber hatten am Mittag des 17. Augusts 1962 auf den 17jährigen Maurergesellen Fechter geschossen, als dieser mit seinem Kollegen Helmut Kulbeik die innerdeutsche Grenze in der Berliner Zimmerstraße zu überqueren versuchte. Kulbeik, der aus ungeklärten Gründen nicht als Zeuge zur Verhandlung erschien, glückte damals die Flucht. Fechter wurde getroffen. Er blieb 50 Minuten im Grenzstreifen liegen, bis DDR-Soldaten ihn abtransportierten. Auf beiden Seiten der Mauer sahen Passanten zu, ohne ihm helfen zu können. Kurz nach Ankunft im Hospital erlag Fechter seinen Verletzungen.

Vier Grenzposten hatten das Feuer auf die beiden Fliehenden eröffnet. Einen Grenzer hatte man nicht angeklagt, da er glaubhaft machte, er hätte zweimal in die Luft geschossen. Ein zweiter Schütze, aus dessen Gewehr die tödliche Kugel auch abgefeuert worden sein könnte, starb vor einigen Jahren.

„Posten Vier“ bestand damals aus Rolf Friedrich und Erich Schreiber, die erst kurz zuvor aus der Provinz der DDR an die Berliner Mauer versetzt worden waren.

Ein Gutachten, daß mit Hilfe eines überraschend auftauchenden Obduktionsberichts der Ostberliner Charité erstellt werden konnte, schließt Friedrich als Todesschützen aus. Der Postenführer hatte von einem erhöhten Stand aus gefeuert, während Fechters Beckendurchschuß schräg von unten nach oben verlief.

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