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Life is a sport!

Früher war der Wochenendspaziergang erholsam, aufmunternd und inspirierend – kurzum: Er ließ der Seele Flügel wachsen. Heute hingegen hat er ungfähr den gleichen Effekt wie ein Leberhaken. Kaum hat man ein paar Schritte durch den Wald oder Flur getan, da gräbt sich auch schon ein Troß von keuchenden Mountainbikern nebenan durch die Landschaft. Keine zweihundert Meter weiter versuchen sich einige Freeclimber nur mit der Kraft ihrer Zeigefinger eine senkrechte Felswand hinaufzuziehen. Fegt dann noch eine Rotte von Rennradlern oder Rollerskatern mit einem Affentempo vorbei, ist es um den inneren Frieden geschehen. Gerade eben war man mit sich und der Welt noch im reinen – urplötzlich aber fühlt man sich so buddhamäßig fett, so kurzatmig, ausgeleiert und aufgeschwemmt wie ein übergewichtiges Kind im Turnunterricht.

Ganz ähnlich sind die Eindrücke, die man im Sommerurlaub gewinnt. Wer seine Ferien noch heute mit Faulenzerei und ein bißchen Sightseeing verbringt, gilt praktisch als scheintot. Untätigkeit und Entspannung rangieren auf der nach oben offenen Verpöntheitsskala nur knapp hinter dem Kettenrauchen, denn der zeitgemäße Urlaub muß den Charme von dampfenden Sportschuhen und die Atmosphäre eines Weltmeisterschaftsfights besitzen. So hecheln Mountainbiker zwei Wochen lang über ausgewählte Bergriesen des Himalaya, während Canyonisten auf Wasserfällen in Alpenschluchten hinunterrutschen oder Rafter in einem Schlauchboot den Colorado abwärts brausen. Andere kämpfen sich 14 Tage lang durch die Knochenmühle eines Fitneßstudios an der Costa del Sol, und wenn ein Reiseveranstalter nächstens drei Wochen Galeerenrudern in Ketten anbietet, dann wird das vermutlich auch niemanden mehr wundern.

Ebensowenig verwunderlich ist es, daß die Sportwerdung des Menschen allmählich auch auf den Alltag übergreift. Schon sieht man Börsenmakler auf Inline-Skatern und mit dem Ziel einer neuen persönlichen Bestzeit morgens zu ihrem Arbeitsplatz sausen. In der Werbung läßt man Mountainbiker selbst für Produkte durch die Gegend radeln, die – wie Schokoriegel und Nußnougatcremes – bislang nicht gerade als fitneßfördernd bekannt waren. Und in den Zügen der deutschen Bahn wird man via Lautsprecher vom „Inter- City-Team“ begrüßt – was sich gerade so anhört, als wenn dieses Team die Fahrkartenkontrolle in einer Art Basketballdreß vornehmen würde.

„Life is a sport!“ heißt es denn auch ganz richtig in der Reklame für ein isotonisches Getränk. Die Welt verwandelt sich in einen Sportplatz, und bevor es zu spät ist, sollten endlich auch dicke Kinder wie wir mit dem Training beginnen. Auf geht's! Joachim Schulz

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