Guyanas Kapitalist „mit menschlichem Antlitz“ ist tot

■ Staatstrauer herrscht in dem lateinamerikanischen Staat: Der reformmarxistische Präsident Jagan starb an Herzinfarkt

Berlin/Georgetown (taz) – Der Mann, dem Guyana die Unabhängigkeit vom britischen Königreich verdankt, ist tot: Cheddi Jagan, Präsident des südamerikanischen Landes, starb gestern in einem Krankenhaus in Washington an den Folgen eines Herzinfarkts. Laut Verfassung übernimmt Ministerpräsident Sam Hinds die Nachfolge des Staatsoberhaupts. In Guyana ist eine sechstägige Staatstrauer angeordnet worden. Die Internetseite einer guyanischen Tageszeitung wurde schwarz unterlegt.

Der am 22. März 1918 geborene Jagan hatte 1950 die marxistische „Fortschrittliche Volkspartei“ (PPP) gegründet, nachdem er bei einem Studienaufenthalt in den USA mit dem rassistischen Alltag dort konfrontiert worden war. Seine Partei, die volle Selbstverwaltung und die Verstaatlichung der Zuckerindustrie der damaligen britischen Kolonie forderte, errang drei Jahre später den Sieg bei den Parlamentswahlen. Jagan selbst wurde Ministerpräsident.

Doch lange hielt die sozialistische Orientierung Guyanas nicht vor: Nach nur 153 Tagen marschierten britische Truppen ein und hoben die Verfassung mit der Begründung auf, die Regierung plane ein kommunistisches Regime. Die USA unterstützten mittels CIA diese Politik des britischen Mutterlands und versuchten ebenfalls, Jagans Gegner, Forbes Burnham, an die Macht zu bringen. Dies gelang letztendlich durch Verschiebung der staatlichen Unabhängigkeit Guyanas 1963 um drei Jahre und der Einführung eines neuen Wahlrechts 1964. Erst als es 1992 zur ersten Wahl mit internationalen Beobachtern kam, wurde Jagan Oberhaupt des mittlerweile zur Präsidialrepublik gewordenen Staats. Aus dem marxistischen Reformer wurde unter dem Eindruck der weltpolitischen Veränderungen ein Befürworter des Kapitalismus „mit menschlichem Antlitz“, so Jagan selbst. Die Beziehungen zu den USA entspannten sich. 1993 gestattete ihnen Jagan sogar Militärmanöver in Guyana. Jagan war Befürworter des sogenannten „Alternativen Strukturanpassungsprogramms“ (Asap), das zur Befriedigung der Grundbedürfnisse der guyanischen Bevölkerung beitragen soll. Die Betonung von Asap liegt dabei auf einer nachhaltigen Entwicklung. Per Brodersen