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Wie in den besten Zeiten

Der SC Freiburg gewinnt beim 1:2 gegen Meister Dortmund Sympathien zurück und träumt nun von vielen Punkten in den nächsten Wochen  ■ Aus Freiburg Ulrich Fuchs

Bis zur 74. Minute muß Jörg Heinrich schrecklich allein gewesen sein. Mehr als ein Jahr liegt es zurück, daß er dem SC Freiburg den Rücken kehrte und zu Borussia Dortmund wechselte. Und als er nun erstmals zurückkehrte, war die Stimmung rings um ihn herum so wunderhübsch aufgeräumt wie in seinen besten Freiburger Zeiten. Auch der südbadische Frühling zeigte sich von seiner schönsten Sonnenseite, und freundlich guckten die Schwarzwaldberge, die Heinrich in Dortmund so sehr vermißt, hinunter ins Dreisamstadion. Nur wenn der blonde Mann am gelb-schwarzen Flügel ins Spiel kam, schlug das Klima in Sekundenschnelle um: kein Ballkontakt, der nicht von einem Pfeifkonzert begleitet wurde. Kein Dribbling, das nicht den kollektiven Unmut der 22.500 auf sich zog.

Erst der Schiedsrichter schien fünf Minuten vor Schluß ein Einsehen zu haben. Ohne Zögern übernahm er die Rolle des Buhmanns, als Karlheinz Riedle auf dem Weg zum Freiburger Tor an der Sechzehnmetermarkierung von seinem Gegenspieler Korell leicht touchiert wurde und schwer zu Boden ging. Die Diskussionen um den Elfmeterpfiff, der die 2:1-Entscheidung für Dortmund brachte, dauerten bis lange nach dem Schlußpfiff. Eher ungewöhnlich: Man hatte dann zumindest Einigung erzielt. Selbst die Trainer Hitzfeld und Finke verständigten sich nach ausführlichen Verhandlungen unter Berücksichtigung diverser Zeitlupenstudien auf die gemeinsame Erklärung: „Kein Elfmeter.“

Die demonstrierte Einigkeit bei der abschließenden Pressekonferenz spiegelte dabei noch einmal die Ereignisse des Nachmittags. „Traurig“, bekundete Hitzfeld, sei es, „daß dieser SC Freiburg so weit hinten steht.“ Schon mit dem 1:1 zur Halbzeit sei man „gut bedient gewesen“. Man habe insgesamt „sehr viel Glück gehabt“, den Sieg „spielerisch nicht verdient“ und eine Freiburger Mannschaft gesehen, die „mit hohem Tempo, sehr schnell und sehr aggressiv“ agiert habe. Volker Finke mochte da erst gar nicht mehr weit ausholen: „Der Ottmar hat das Spiel so dargestellt, wie es war.“

Die Phase der Rückbesinnung, die Finke ausgerufen hatte („Wir müssen zurück zu der Philosophie, die uns viereinhalb Jahre stark gemacht hat“), hat durchschlagenden Erfolg erzielt. Freiburg kombinierte wie in besten Tagen, das Publikum feierte seine Helden vor und nach dem Schlußpfiff („Ihr ward besser als der BVB“) – nur die Punkte nahm wieder einmal der effizienter arbeitende Gegner mit. Neuzugang Michael Frontzeck, der auf der linken Außenbahn eine ansehnliche Partie geboten hatte, hatte sich gar die Frage gestellt: „Wer ist hier eigentlich der deutsche Meister?“

Ein Blick auf die Tabelle wird ihn der Klärung der Frage vermutlich nähergebracht haben. Nach der samstäglichen Niederlage wird der Verdacht dringender, daß der SC Freiburg nach einer verkorksten Saison mit dem Höhepunkt des 0:4 gegen den HSV vor 14 Tagen erfolgreich einen Sympathiefeldzug eingeleitet hat, dem am Ende das Glück des sportlichen Erfolgs nicht beschieden sein wird.

Das Spiel zeigte auch, was Trainer Finke in den Satz faßte: „Die Mannschaft lebt.“ Harry Decheiver gehört nicht mehr dazu. Der einstige Toremacher wurde gestern nach einer Besprechung mit Finke und Präsident Stocker endgültig aussortiert. Am Mittwoch geht es nach Düsseldorf, am Samstag kommt 1860 München, danach Leverkusen. Mit neun Punkten, hatte man gestern flugs errechnet, wäre die Tuchfühlung zum rettenden Platz 15 hergestellt. Nach einem sehenswerten Spiel träumt man in Südbaden wieder von Wundern. Jörg Heinrich darf derweil von seinem zweiten deutschen Meistertitel träumen. Das mag ihm an diesem Nachmittag, an dem fast alles wie früher war, den Abschied noch leichter gemacht haben von den geliebten Schwarzwaldbergen.

Zumal er dann auch noch am eigenen Leib erfahren mußte, daß der Einzug der Normalität in Südbaden auch an Tagen, an denen die alte Zeit noch einmal aufscheint, nicht mehr zu verdrängen ist. Auf dem Weg zum Bus wurde Heinrich mit Bier überschüttet und mit „Judas“-Rufen bedacht. Vielleicht hat er sich da dann noch einmal schrecklich einsam gefühlt.

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