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Elf Stunden täglich

■ Seit drei Wochen streiken Drucker der "Magdeburger Volksstimme" für tarifgemäße Arbeitsbedingungen

Draußen stehen die Streikposten – und drinnen rollt die Magdeburger Volksstimme über die Pressen. Seit über drei Wochen wird das Druckzentrum Barleben bei Magdeburg bestreikt. Volksstimme-Verleger Heinrich Bauer läßt Notausgaben drucken – von Streikbrechern, die mit dem Hubschrauber eingeflogen werden, und in Druckereien anderer Verlage, die sich, so Bauer-Sprecher Roman Köster, „solidarisch verhalten“. Auf 2,5 Millionen Mark beziffert der Verlag seine wöchentlichen Verluste.

Morgen mittag treffen sich der Bauer-Verlag und die IG Medien wieder am Verhandlungstisch. Um Geld geht es den Streikenden nicht; sie wollen einen Haustarifvertrag, der die Besetzung der Zeitungsrotationsmaschinen und Weiterverarbeitungsstraßen tarifkonform regelt. Nachdem die letzte Runde vor einer Woche ergebnislos abgebrochen worden war, begleiteten die Drucker das Sondierungsgespräch am Freitag mit einer Demo vor dem Werktor. Abends feierten sie ein Fest, die Stimmung ist gelassen.

Illustrierten-Großverleger Bauer (Bella, Fernsehwoche), der 1991 die einstige SED-Bezirkszeitung gekauft hatte, trat 1992 aus dem Verlegerverband aus. Bis 1993 galt der Tarifvertrag, seitdem herrscht im neuerbauten Druckzentrum Barleben ein tarifloser Zustand. Die Drucker arbeiten auf der Basis eines Schlichtungsspruches der Einigungsstelle von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Demnach wird zwar tarifgemäßer Grundlohn bezahlt, aber für Überstunden gibt es kein Geld. Seit Monaten waren elfstündige Arbeitszeiten ohne Pause die Regel. Nach Angaben der IG Medien arbeiteten in Barleben nur 40 Prozent der Besetzung vergleichbarer Druckereien. Allein im vergangenen halben Jahr gab es bei den 30 Produktionsarbeitern vier Arbeitsunfälle und mehrere „Beinahe-Unfälle“. Verlagssprecher Köster dagegen sieht die Druckerei optimal besetzt: „Wir haben hier hochmoderne Anlagen, die einmalig sind in der Druckindustrie.“

Man könne „nur von Glück sprechen, daß es noch keine tödlichen Unfälle gab“, meint Karin Marschallek von der IG Medien. Die Arbeitsbedingungen in Barleben seien die schlechtesten in der deutschen Zeitungsdruckereilandschaft. Bauers Position sei „ausschließlich ideologisch begründet“; der Verleger wolle „verhindern, daß die Beschäftigten rechtsverbindliche Anspruchsgrundlagen erhalten, durch die zwingend Personalbesetzungen eingefordert werden können“. Konsequenz: Sobald ein Kollege erkrankt oder in Urlaub geht, rotieren die anderen bis zum Umfallen. „17 Tage hintereinander arbeiten oder dreimal in der Woche die Schicht wechseln, das war hier üblich“, berichtet Drucker Volker Eckebrecht. Schon heute sei der Urlaub sämtlicher KollegInnen bis auf den letzten Tag verplant. Für Nebenarbeiten im Druckprozeß beschäftigte Bauer einen Studentenservice der Magdeburger Uni; dafür wurden Frauen mit Facharbeiterabschluß entlassen.

Obwohl sie die Streikbrecher und die „Notausgaben“ für 230.000 Abonnenten der Magdeburger Volksstimme täglich vor Augen haben, sind die Drucker zuversichtlich, diesen Arbeitskampf durchzustehen. Allein gegen den Rest des Konzerns. Nachdem sich die Redakteure zunächst mit den Streikenden solidarisch erklärt hatten, brachte die Urabstimmung dann doch nicht die nötige Zustimmung aus den Redaktionsstuben. Unmittelbar vor der bisher letzten Verhandlungsrunde erhielten alle Streikenden per Kurier einen Brief, der von Mitarbeitern der Magdeburger Verlags- und Druckhaus GmbH unterzeichnet ist: Herr Bauer sei ja bereit, das Streikziel zu erfüllen, es sei deshalb nicht nachvollziehbar, wofür der Streik fortgesetzt werde. Die Unterzeichner appellierten, „den Streik zu beenden, damit auch wir wieder unter normalen Bedingungen unsere Arbeit durchführen können.“

Streikbrecherpraxis, die durch die eigenwillige Struktur der MVD begünstigt wird: Das Unternehmen ist in 16 GmbHs aufgesplittet. Einen Betriebsrat gibt es nur für die Drucker und die Redakteure. Doch letztere müssen befürchten, daß sie ihre festen Stellen einbüßen und bestenfalls als „feste Freie“ weiterbeschäftigt werden. Illustrierten-König Bauer bemüht sich durchaus erfolgreich, den Druckerstreik öffentlich madig zu machen. An alle Abonnenten ließ er ein Flugblatt verteilen, das die ArbeiterInnen als Nummern mit deren angeblichen Löhnen auflistet. Danach würde ein Drucker in Barleben 92.000 Mark Jahresgehalt beziehen. Die Barlebener wollten „Luxusarbeitsbedingungen“. Mit dieser Lüge, so der Kommentar in Streiklokal und Gewerkschaftshaus, solle „Sozialneid geschürt“ und vom Streikthema abgelenkt werden: „Es geht nicht ums Geld“, stellt Marschallek klar, „sondern um tarifgemäße Arbeitsbedingungen.“ Detlef Krell

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