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Boulevardtheater mit schöner Musik

Entwarnung für Regieeinfallsphobiker: Leander Haußmann hat Mozarts „Figaro“ in Basel nichts sehr Schlimmes angetan. Jeder kommt auf seine Kosten, nur weniges läuft aus dem Ruder, und die Kirche bleibt im Rokoko  ■ Von Johanna Hund

Neulich hat Leander Haußmann in einem offenen Brief (in einer renommierten süddeutschen Zeitung) leicht genervt und kokett die Titel „Shooting-Star“ und „Jung-Regisseur“ der Öffentlichkeit zur anderweitigen Verwendung zurückgegeben. Das wird ihm natürlich so schnell nichts nützen. Obwohl Mozart in Haußmanns Alter schon drei Jahre tot war, ist letzterer für den Grad seiner Berühmtheit wie für den Bochumer Intendantenposten doch ziemlich jung. So sitzt denn auch Presse satt in der Premiere, wenn der 1959 Geborene, auf Ladung eines anderen Blutjungintendanten aus dem Osten, in Basel „Figaros Hochzeit“ inszeniert; zumal sich der als „Fun-Regisseur“ von einem Teil des Feuilletons Verabscheute hier erstmals ans Musiktheater macht. Freimütig ließ er hören, daß ihm Opern eher fern und Noten schwarze Pünktchen sind. Das wabert ein bißchen in naivem Größenwahn, zeigt aber doch auch erfrischende Chuzpe: Da werden die Kulturgralshüter schon mal die Messer gewetzt haben.

Er geht denn auch gutgelaunt ans (in der Entstehungszeit belassene) Buffo-Werk. Susanna rockt ein bißchen in Vorfreude aufs Hochzeitsfest, und als Figaro erfährt, daß der Graf seiner Braut an die Wäsche will und seine berühmte Arie „Se vuol ballare“ auf ihn anstimmt, wetzt er ein Rasiermesser (gleich noch auf seine Barbiersvergangenheit verweisend); bei „piano, piano“ macht er entsprechende Zeichen ins Orchester; und Bartolo führt sich als Bauklötzchen wegkickender Kinderschreck ein. Spätestens bei der Versteckszene (hier: Graf unterm Bett, Cherubino darin) hat Haußmann die Lacher gewonnen. Das ist nett inszeniert, Boulevardtheater mit schöner Musik, hat Schwung und paßt – vergnüglich und optisch wie musikalisch erfreulich.

Alex Harbs sinnig angelegte Drehbühne fährt allerhand verschachtelte Kammern und altes Gemäuer auf und bringt schöne Bilder. Deren schönstes bietet der Salon, als eine tiefstehende Sonne hineinscheint, während von draußen spielende Kinder (vom Band) zu hören sind: Spätnachmittag im Sommer in Italien. Die Stimmen sind ohne Ausfälle zwischen halb und ganz stark, besonders die passend und schön unterscheidbar gefärbten der Damen. Natürlich und prächtig: Susanna (Åsa Baverstam); kultiviert und oft betörend: die Gräfin (Brigitte Hahn); klein, aber quecksilbrig fein: Cherubino (Ulrika Precht, die den von Libidinösem schwer Umgetriebenen wunderhübsch mimt); groß und nicht mehr ganz schön: Marcellina (Leandra Overmann). Und das Radio-Sinfonieorchester spielt unter Stefan Lano kräftig akzentuiert und fast durchgängig hochpräzise. Bloß fehlt da gelegentlich dies spezielle Drängen der Rhythmen, das so gut zu dieser durcherotisiert- verschalkten Gesellschaft paßt.

Im dritten Akt dann sinkt Graf Almaviva (Tomas Möwes) im Duett mit Susanna, von der er nun doch das Privileg der „ersten Nacht“ zu kriegen scheint, mit dem Haupt auf die Kaffeetafel. Als er es hebt, klebt ihm eine Tasse an der Stirn; beim zweiten Mal an der Wange. Selbst wenn ihn Wolfgang Hildesheimer Mozarts „unsympathischste Figur“ nennt: Das hat er nicht verdient. Es gibt dann noch ein paar entbehrliche Clownerien, bessere Einfälle auch (wobei sich die rockenden Rokokomenschen etwas abnutzen), dezente Eingriffe, Straffungen – da freuen und stören Kleinigkeiten. Wenn Susanna und die Gräfin im Dreier mit dem monologisierenden Grafen die ganze Bühnenbreite zwischen sich haben, während sie sich austauschen, ist es merkwürdig, daß der Mann sie nicht hören soll. Kleinigkeiten eben. Doch was so aufgeräumt begann, wirkt später manchmal mühsam angescherzt und läuft zum Schluß in der Aktion auch etwas aus dem Ruder. Kein extraordinärer „Figaro“ also, aber trotzdem ein schöner. Fast ist man Haußmann dankbarer für das, was er läßt, als für seine Taten. Er läßt die Damen nicht als unsere Zeitgenossinnen in Minis über die Bühne stöckeln, wie Zadek (ja ebenfalls Mann des Schauspiels) es Mitte der achtziger Jahre in Stuttgart tat, er läßt die Gräfin nicht süffeln, und wenn da mal Jugend von heute im T-Shirt, rauchend, trinkend und amüsiert, auf diese singenden Kostümierten herabschaut, dann zeigt das freundliche Distanz.

Haußmann tut der Oper nichts an, und das ist ja was wert. Regieeinfallsphobiker brauchen sich nicht zu fürchten: Das ist durchaus nicht weit vom Figaro-Normalfall. Freundlich und unzerbuht der Premierenapplaus. Nicht ganz erwartungsgemäß.

Weitere Aufführungen: 11., 19., 22., 24., 26. und 31. 3.

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