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... abends anderswo ausgehen

Lokstedt ist bislang eher aus den Stauberichten des Verkehrsfunks bekannt. Nun soll es ein neues Ortszentrum bekommen und der Siemersplatz wiederbelebt werden. Interessierte dürfen mitplanen  ■ Von Heike Haarhoff

„Für die Jugend?“Heinz Tränkner verstummt. Die Frage nach Freizeitangeboten für Kinder und Jugendliche im Stadtteil Lokstedt überrumpelt ihn. „Nö, da gibt das nix“, antwortet er schließlich. Was sollte es auch geben?

Stadtteilzentren, Discos, Jugendtreffs? Szene-Kneipen, öffentliche Musikkeller zum Proben, ein Schwimmbad? Das hatte man in Loookstedt, wie man hier vornehm sagt, in diesem meist nur in Stauberichten erwähnten Ortsteil zwischen Niendorfer Gehege im Norden und Autobahn im Westen, früher nicht, heute nicht, und, so steht zu befürchten, künftig auch nicht. Heinz Tränkner ist sich sicher. Seit 30 Jahren lebt der 73jährige Rentner am Siemersplatz – dem „Herzen“Lokstedts und zugleich der Hamburger Verkehrsgabelung für Fernfahrer nach Lübeck, Berlin, Schnelsen, Fuhlsbüttel und in die City-Nord – in „etwas unglücklicher Lage“, wie er sagt.

„Toote Hoose“, zucken andere Passanten die Schultern. Lokstedt, das ist das abendliche Bierholen an der Tanke, die Freiwillige Feuerwehr in der Vogt-Wells-Straße und das Deutsche Rote Kreuz, ein paar Sportplätze, Skat in der Viktoria-Klause und am Wochenende – für manche – der Schrebergarten. Wer in den gesichtslosen drei-, vier- und nochmehrstöckigen Flachdach- oder Backsteinhäusern mit Hundepinkelwiesen dazwischen an Lokstedter Steindamm, Siemersplatz, Behrmannplatz, in der Vogt-Wells- oder Grelckstraße lebt, wo es für Schaufensterbummler bestenfalls Banken, kleine Lebensmittelläden, Versicherungen und Apotheken im Erdgeschoß gibt, „sieht eigentlich zu, daß er abends woanders ausgeht“.

Zum Beispiel nach Eppendorf oder ins nächste Kino am Grindel, wo die Buslinie 102 hinfährt, die vielgenutzte, wenn auch häufig im Stau stehende, und daher gleichermaßen verhaßte öffentliche Verkehrsverbindung. Seit Jahren hofft man hier auf die Stadtbahn.

Dabei gibt es genug „Fluchtwege“, die Ausfallstraßen beherrschen das Bild. Vier- bis sechsspurig sind sie, den Idealen der Verkehrsplaner der 50er und 60er Jahre entsprungen. Ampelausfall bedeutet für Fußgänger Lebensgefahr. „Besser“, schreit ein Passant gegen das Motorengeheul an, „muß es gewesen sein, als Lokstedt noch dänisch war.“Diese Epoche allerdings dauerte ab 1848 nur 50 Jahre an; 1898 hatte Hamburg das Gebiet zurückerobert. Der ehemalige Grenzstein auf der Verkehrsinsel am Siemersplatz ist das letzte Relikt aus dieser Zeit. Heute werben Richtungstafeln überall am Straßenrand für Orte, an denen es sich netter leben ließe. „Wir“, sagt Tränkner, „sind in den Riesenverkehr erst reingewachsen.“

Dieser jahrelangen, schleichenden Entwicklung – immer mehr Autos, Lärm und Unfälle bei 24.000 Einwohnern, die sich aus dem öffentlichen Raum haben verdrängen lassen – soll jetzt Einhalt geboten werden: „Lokstedt muß wieder ein eigenständiges Zentrum bekommen, in dem die Menschen im Vordergrund stehen“, sagen Marita Vietmeyer und Reinhard Buff von der Stadtplanungsabteilung Eimsbüttel (siehe links.). Seit dem vergangenen Sommer wird daher der Straßenraum, die Bebauung und Begrünung zwischen Siemersplatz und Grelckstraße komplett überplant; Ende dieses Monats sollen die Endergebnisse des Gutachtens vorliegen, anschließend die Vorschläge, vor allem Verkehrsberuhigung, umgesetzt werden. Das Besondere: Alle interessierten Einwohner und Gewerbetreibenden durften mitplanen. „Dann ist die Akzeptanz hinterher hoch“, weiß Marita Vietmeyer. Zusammengefunden hat sich ein bunt gemischtes Grüppchen aus rund 20 Personen, Rentner Heinz Tränkner, ansonsten ehrenamtlich in der Sozialberatung des „Reichsbunds“tätig, ist einer von ihnen.

„Viel ändern“, ist der 73jährige weniger euphorisch als die planende Verwaltung, „läßt sich wohl am Verkehr nicht.“Das Wichtigste aber wäre, die derzeit brachliegende Ecke am Siemersplatz mit Geschäften und Kneipen wiederzubeleben. Bis vor kurzem stand dort der Münster'sche Gasthof, „unser Treffpunkt“. Doch „als die Wirtin gestorben ist“, weiß man im Stadtteil, wurde das marode Traditions-Ausflugslokal abgerissen. Ersatz läßt auf sich warten: Bislang hat sich nur ein Autohändler um das prominente Grundstück beworben – und wurde abgelehnt. „Hier will doch niemand hin“, argwöhnt Heinz Tränkner.

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