: Zwischen bissigen Haien
■ Internationale Trend-Scouts entdecken bisher unbekannte Bremer Modedesignerin
Hinter blanken Fakten verbirgt sich die keimende Karriere von Nachwuchsdesignerin Sigrid Schumacher. Geboren 1960 in Bremen. Sieben Semester Mode-De-sign an der Bremer Hochschule für Künste. Mitarbeit in der Modeindustrie. Seit drei Jahren selbständig mit dem Label Prototype. Zwar kann die 36jährige bisher kaum von ihren trickreichen Modeideen leben. Aber entdeckt hat sie die Szene bereits.
Als die Gestalterin vor zwei Jahren in der Off-Modemesse AVE in Berlin ausstellte, muß einer der incognito herumschlendernden Trend-Scouts angebissen haben. Jedenfalls ging's von da an bergauf: Dreimalige Einladung zur CPD, Düsseldorfs Modemesse für JungdesignerInnen. Die insgesamt mehr als 30.000 Mark für den eigenen Stand wurden vom Veranstalter ebenso gesponsert wie Gala-Shows. Die Modeschöpferin mit dem knalligen Rotschopf, in Bremen immer noch wenig bekannt, war plötzlich umlagert von Fernsehen und Fachpresse. Erster Artikel in einem New Yorker Fachblatt.
Der Grund: Sigrid Schumacher zeigt Tabus die Zähne. Weil die Prototype-Dessous nichts mit süßlicher Häschen-Erotik zu tun haben, können ihre BHs schon mal dreist über dem Oberteil getragen werden. Die Zauberformel lautet „Kombinationsbaukasten“. Statt bunte Bauklötze aufeinanderzuschichten, sind es bei ihr puristische Bodys, Leggings, Röcke und Hosen, überwiegend in schwarz und anthrazit, die kreativ gemixt werden. Jede Kollektion ergänzt die vorangegangene. Niemand, behauptet sie selbstbewußt, habe die Kombinationsidee so weit getrieben wie sie.
Humor inclusive. Da gibt es zum Beispiel die Hose Nummer 720185, die zwar vorn seriös mit Nadelstreifen, Bügelfalte und Aufschlag daherkommt. Doch wenn sich frau umdreht, verwirrt die knackige Rückseite in schwarzem Lack. Solche Schocker, in diesem Fall 350 Mark teuer, liebt die humorvolle Gestalterin ebenso wie Bequemlichkeit und Tragbarkeit ihrer Mulitmikrofaser-Produkte: „In meinen Abendkleidern kann man Badminton spielen, in meinen Bodys kann man baden gehen.“
Nicht der letzte Schrei ist ihr wichtig, sondern Haltbarkeit. Das heißt: An ihrer Nähmaschine entstehen nicht Ex-und-hopp-Produkte, sondern Textilien, die von der Farbe her konstant sind und ein ähnliches Styling haben: „Ich lehne es ab, daß sich die Mode jedes halbe Jahr ändert, das ist unökologisch und unökonomisch.“
Ideen kommen ihr beim Nähen, beim Beobachten von Passanten oder auch beim Spaziergang durch einen Baumarkt. Da werden dann kurzerhand Schlüsselkettchen erworben und zuhause als Verschluß eines geschlitzten Bodys eingenäht. Denn sie will weg von der inflationären „Bekleidung, in 100.000er Stückzahlen hergestellt, wie sie einem in der Bremer Obernstraße entgegenschreit“. Daß für solche Billigprodukte auch noch Ideen namhafter DesignerInnen geklaut werden, erregt sie maßlos: „In der Modebranche gibt es verdammt viele Haie, die beißen.“
Ihre Mode ist hingegen gemacht für „alle, die den Mut haben, den autonomen Stil ihrer Gruppe zu verlassen.“Denn hinter ihrer Mode könne man sich nicht verstecken. Zielgruppe von Sigrid Schumacher sind Menschen, die mit ihrer Kleidung klare Statements abgeben.
Daß sie solche Ideen nicht am wunderschönen Nullachtfünfzehn-Modell präsentiert, sondern nach Möglichkeit in surrealistischen Performances mit „echten Menschen“, ist Teil ihrer Philosophie. Eine 1,57 Meter große introvertierte Koreanerin steht für sie ebenso auf dem Laufsteg wie eine ellenlange Blonde, ein Friseur, ein Psychologiestudent, ein gepiercter Arbeitsloser. Die sollen dasselbe signalisieren wie ihre Mode: Stärke, Intelligenz und Persönlichkeit.
Sabine Komm
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen