Krank durch Textilien

Die schönen bunten Klamotten können Erbgutveränderungen, Krebs und Allergien auslösen. Benettons bunte Windeln wurden verboten  ■ Von Katrin Dreßler

Textile Fasern schützen uns vor Wetter- und Witterungseinflüssen. Die Kleidung ist uns unentbehrlich geworden. Ohne sie würden wir uns einfach unvollkommen fühlen. Vielleicht wäre es aber manchmal besser, unbekleidet wie Adam und Eva, dafür gesund durchs Leben zu wandeln, denn Textilien können Substanzen enthalten, die unsere Gesundheit gefährden.

Das kleine Schild an der Innennaht verrät uns nur, daß die Leggings, die frau sich gerade überstreift, aus 60Prozent Baumwolle und 40 Prozent Polyamid besteht. Mehr erfährt die Trägerin nicht. Was enthält der pinkfarbene Stoff dieser Leggings, die man kürzlich als Schnäppchen erstanden hat, noch? Textilhilfsstoffe, die zum Veredeln und Färben von Textilien eingesetzt werden und auch nach Fertigstellung des Kleidungsstückes auf dem Textilgut verbleiben. Bei langem und intensivem Kontakt mit diesen Stoffen können sie auf die Haut gelangen und dort ihre Wirkungen entfalten. Diese Stoffe und die Gefährdungen, die von ihnen ausgehen, untersucht die 1992 gegründete Arbeitsgruppe „Textilien“ im Berliner Bundesamt für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV). Thomas Platzek erläutert die Aufgabenstellung der Arbeitsgruppe so: „In einer Bestandsaufnahme sollen Prioritäten für den gesundheitlichen Verbraucherschutz aufgezeigt und Forschungsbedarf formuliert werden. Exemplarisch werden problematische Stoffe und typische Vertreter bestimmter Substanzklassen gesundheitlich bewertet und Empfehlungen zur Vermeidung oder Verringerung von Risiken erarbeitet.“

Von Textilhilfsstoffen können drei Arten von Reaktionen ausgehen: allergische-, erbgutverändernde- und krebserzeugende Wirkungen. Die allergischen Reaktionen, bekannt in Form der Kontaktallergien, stellen eine leichte Form der Gefährdung dar. Sie sind, gemessen an dem enormen Gebrauch von Bekleidung, selten. Bekannte Stoffe, von denen ein sensibilisierendes Potential ausgeht, sind Formaldehyd und Glyoxal. Beide Zusatzstoffe werden zur Verbesserung des Knitterverhaltens von Baumwolle und Viskose eingesetzt. „Etwa ein bis zwei Prozent aller Kontaktallergien“, schätzt Platzek, „sind textilbedingt. Das stellt kein Problem dar.“ Diese Einschätzung stützen auch Experten verschiedener deutscher Hautkliniken in entsprechenden Umfragen. Viel gefährlicher sind die Farbstoffe. Sie können bei eng anliegenden Kleidungsstücken viel leichter Allergien hervorrufen. Strumpfhosen, Leggings oder Bodies sind häufig die Auslöser roter, juckender Bläschen an den Beinen. Meistens handelt es sich bei solchen Farben um Dispersionsfarbstoffe. Deshalb sollen in Deutschland einige Farben aus dieser Farbstoffklasse nicht mehr eingesetzt werden. Das Problem: Von der Chemie, die in den Fasern hängenbleibt, ist wenig bekannt. Eine Anmelde-, Registrier- oder Zulassungspflicht besteht für Textilhilfsstoffe innerhalb der Europäischen Union noch nicht. Damit gibt es keine Kontrolle über diese Hilfsstoffe, und die Hersteller können bei einer Gesundheitsgefährdung nicht belangt werden.

Durch neuartige Meßversuche wurde die Freisetzungsrate von Textilhilfsmitteln modellhaft untersucht und festgestellt, daß die mittlere tägliche Freisetzung an Farbstoffen 0,1 Prozent des ursprünglichen Gehaltes beträgt. „Bei echt gefärbter Ware, wo die Farbe fest an der Faser haftet, ist die Exposition beim Tragen von Textilien wirklich klein“, faßt Platzeck diese Forschungsergebnisse zusammen. Seit kurzem existiert ein erstes gesetzliches Verbot bestimmter Farbstoffe, die eine krebserzeugende Wirkung auslösen können. Dabei handelt es sich um Azofarbstoffe (Farbstoffe mit einer bestimmten stickstoffhaltigen Gruppe im Molekül), die im Körper in bestimmte Amine, die eigentlichen Krebsauslöser, gespalten werden. Nach der vierten Änderung der Bedarfsgegenständeverordnung, seit 1. Oktober 1996 in Kraft, dürfen diese Azofarbstoffe nicht mehr in Deutschland eingesetzt werden. Das italienische Textilunternehmen Benetton hat das kürzlich zu spüren bekommen. Mit roten und gelben Wegwerfwindeln wollten sie hiesigen Babys unter den Po rücken. Diese Windeln enthalten einen dieser gefährlichen Azofarbstoffe. Bei einigen Vertretern dieser Farbstoffklasse wird dazu eine erbgutverändernde Wirkung diskutiert. Diese Vermutung konnte durch wissenschaftliche Untersuchungen, die in einem bakteriellen Testsystem erhalten wurden, beim Menschen jedoch nicht belegt werden. Ungefähr 85 Prozent aller Textilien auf dem deutschen Markt sind importiert. Was in ihnen verarbeitet wurde, ist meistens nicht bekannt. Dazu sind die Sachen aus dem Ausland oftmals schlecht gefärbt. Von Kleidung aus Indien weiß man das beispielsweise. Um eine Gefährdung so niedrig wie möglich zu halten, hilft bloß: waschen, waschen und nochmals waschen.

Dioxin kann bei Textilien auch eine Rolle spielen. Alle bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen zum Dioxingehalt in Textilien haben jedoch bewiesen, daß beim Tragen dieser Kleidung keine Gefährdung auftritt. Nach Einschätzung der Arbeitsgruppe „Textilien“ sind die relativ hohen Dioxingehalte technisch vermeidbar. In Deutschland hält man sich daran. Aber in tropischen Ländern werden noch immer dioxinhaltige Verbindungen als Transportkonservierungsmittel eingesetzt. Die Gefahr geht also auch beim Dioxin von importierten Textilien aus.

Regelungen, die eine bessere Kontrolle des Gefährdungspotentials gewährleisten, das von Textilien ausgeht, existieren bislang nicht. Strengere Bewertungsmaßstäbe und Regelungen, die europaweit greifen, sind für chemische Stoffe in unserer Bekleidung ebenfalls noch nicht geschaffen worden. Deutsche Hersteller müssen ihre verwendeten Textilhilfsmittel für den Verbraucher offenlegen, wohingegen bei importierter Kleidung eine Bestandsaufnahme aller verwendeten Textilhilfsmittel nicht erfolgt.

Ausgehend vom bisherigen Wissensstand geht die Hauptgefährdung von bestimmten Farbstoffen, den Azofarbstoffen, aus. Reaktionen aller anderen Hilfsstoffe sind Randerscheinungen und ohne größere Bedeutung für den Verbraucher. Ohne Frage ist dabei importierte Ware mit Vorsicht zu tragen. Wenn man auf die neue Jacke aus dem Ausland bei seiner kommenden Frühjahrsgarderobe nicht verzichten will, sollte man sie mehrmals vor dem ersten Tragen waschen.