: „Eine klare Diskriminierung“
■ Der Schweizer BSE-Experte Dr. Peter Dollinger zur geplanten Klage gegen Deutschland und andere EU-Staaten bei der WTO
Dr. Peter Dollinger leitet die Abteilung Internationaler Verkehr im Schweizer Amt für Veterinärwesen.
taz: Sie erheben schwere Vorwürfe gegen die deutschen Notschlachtpläne und den Einfuhrstopp für Rinder aus Ihrem Land.
Peter Dollinger: Richtig, denn Sanktionen erstrecken sich auf Schweizer Tiere, nicht auf die aus anderen Ländern. Das ist eine ganz klare Diskriminierung, die nicht zulässig ist aufgrund bestehender Staatsverträge.
Aber die Schweiz ist das Land mit den zweitmeisten BSE-Fällen!
Ich würde es ablehnen zu sagen, die Schweiz sei das Land, das am zweitmeisten BSE-Fälle gehabt hat. Wir haben am zweitmeisten diagnostiziert und identifiziert. Bei uns ist die Sicherheit, daß ein krankes Tier erfaßt und aus der Nahrungskette herausgenommen wird, sehr viel größer als in den meisten EU-Staaten.
Wollen Sie damit sagen, daß die Schweiz auf diese Weise für eine bessere Erfassung bestraft wird?
Das sehen Sie richtig. Also wir sind der Meinung, daß damit von den eigenen Problemen abgelenkt wird. Wenn man sieht, welche Probleme in Deutschland bestehen — denken Sie nur an die Geschichte um die Identifikation der Kuh „Cindy“. Das wirft doch ein enormes Licht darauf, wie „gut“ die Rückverfolgbarkeit in Deutschland ist. Wir haben Laborbefunde von deutschen Untersuchungslabors bekommen. Wir sind der Meinung, daß diese Untersuchungen nicht sachgemäß durchgeführt worden sind. Wir würden auch nichts finden, wenn wir es so gemacht hätten.
Sie haben sich bereits im Januar in einem Schreiben an das deutsche Landwirtschaftsministerium gegen die Eilverordnung in Sachen BSE und die damit verbundenen Handelshemmnisse für Ihr Land gewandt. Haben Sie eine zufriedenstellende Antwort bekommen?
Nein, auch nicht die erbetene Risikoanalyse. Offenbar wurde so etwas überhaupt nicht gemacht.
Man munkelt, die Schweiz werde womöglich die Bundesrepublik vor der WTO, der Welthandelsorganisation, verklagen.
Das ist angedacht worden. Nächste Woche wird eine Tagung des Veterinärkomitees der WTO in Genf stattfinden. Vor dieser Sitzung werden wir noch keine Klage einreichen, aber wir haben eine Eingabe gemacht. Wenn die Konsultationen nicht zufriedenstellend sind, dann behalten wir uns vor, eine Klage einzureichen gegen Deutschland und andere Staaten. Denn erstens haben wir nach wie vor Tiere aus Frankreich, wo nachweislich BSE vorkommt, und wir haben Tiere aus Irland, wobei zu sagen ist, wahrscheinlich haben diese Länder sehr viel mehr BSE- Fälle gehabt als die Schweiz. Wir haben auch Länder, die keine BSE-Fälle nachgewiesen haben, wo uns aber Tierärzte gesagt haben, natürlich kommt BSE bei uns vor, es wird nur nicht gemeldet. Darunter auch einige Länder der Europäischen Union. Und solange in Deutschland die Augen verschlossen werden vor der Möglichkeit, daß eine Infektion über die Futtermittel stattgefunden hat, solange können sie auch nicht sicher sein, daß deutsche Rinder nicht betroffen sind. Interview: Klaus Wittmann
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