: Britische Boulevardpresse für Blair
■ Der Medienzar Rupert Murdoch wechselt das Lager: Für ihn besitzt der Labour-Chef viele Tory-Qualitäten
Dublin (taz) – Nun hat auch die Sun das sinkende Schiff verlassen: In ihrer gestrigen Ausgabe rief das britische Boulevardblatt dazu auf, Premierminister John Major in die Wüste zu schicken. „Das Volk braucht einen Führer mit Mut und einer Vision“, hieß es im Leitartikel. „Die Sun glaubt, daß dieser Mann Tony Blair ist.“
Es war der miserabelste Start, den sich die Tories für ihren Wahlkampf – gewählt wird am 1. Mai – vorstellen konnten. Die Sun mit ihrer Comicsprache und Biertischmoral wird von zehn Millionen Menschen gelesen, und bisher stand sie auf seiten der Tories. Am Wahltag vor fünf Jahren druckte die kleinformatige Giftspritze ein Foto des Labour-Kandidaten Neil Kinnock in einer Glühbirne ab und schrieb: „Wenn Kinnock heute gewinnt, möge der letzte, der Großbritannien verläßt, bitte das Licht ausmachen.“ Als es Major dann doch schaffte, titelte das Blatt: „Es war die Sun, die für den Sieg gesorgt hat.“
Damit lag die Zeitung gar nicht mal so falsch: Marktanalysen haben ergeben, daß ein Fünftel der Wahlberechtigten und ein Drittel der Unentschlossenen die Sun lesen. Die Entscheidung, welche Partei man unterstützt, wird vom Verleger Rupert Murdoch persönlich getroffen. Nach Margaret Thatchers Ernennung zur Tory- Chefin 1975 begann eine innige Beziehung zwischen ihr und den Blättern des Medienzaren, der von der Antigewerkschaftshaltung der Eisernen Lady zutiefst beeindruckt war. Nachdem die Tories 1992 mit dem Europäischen Währungssystem ein Debakel erlebten, wandte sich Murdoch jedoch langsam von Major ab. Ein Besuch des Labour-Chefs Tony Blair bei Murdoch in dessen australischer Heimat sorgte vor ein paar Monaten für den endgültigen Umschwung.
So richtig froh dürfte Blair darüber jedoch nicht sein. Chefredakteur Stuart Higgins begründete die Entscheidung damit, daß Blair viele Tory-Qualitäten besitze. Die Konservativen hätten das bessere Parteiprogramm, aber Labour die besseren Leute, um es umzusetzen.
Major kramte unterdessen sein hölzernes Maskottchen hervor und stürzte sich in den Wahlkampf: Auf einer von schwarzen Klebestreifen zusammengehaltenen Kiste sagte er Labour auf dem Marktplatz von Luton den Kampf an. Am selben Ort und auf derselben Holzkiste hatte Major vor fünf Jahren die wundersame Wiederauferstehung der Tories eingeleitet. Diesmal rief die Menge, er solle sich schon mal beim Sozialamt anmelden. Ralf Sotscheck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen