: Und ewig klirren die Gläser
■ Neu im Kino: Steve Buscemis „Trees Lounge“/ Die Kneipe als Mittelpunkt der Welt
Fakt und Fiktion vermischen sich im Kino oft auf sehr merkwürdige Weise. Der amerikanische Schauspieler Steve Buscemi spielte zum Beispiel in zwei kleinen Filmen einen Regisseur: In Alexandre Rockwells „In the Soup“versuchte er mit allen Mitteln das Geld für seinen Debütfilm zusammenzukratzen, und im vorletzten Jahr sahen wir ihn in Tom Dicillos „Living in Oblivion“mit der gleichen Verzweiflung bei Dreharbeiten im tragikomischen Kampf mit Schauspielern, Filmtechnikern und den Tücken des Metiers. Fast scheint es, als müsse man nur oft genug einen Filmemacher mimen, um wirklich einer zu werden, denn mit „Trees Lounge“inszenierte Buscemi jetzt seinen ersten eigenen Film.
Zum Glück haben wir es hier nicht mit einem Herrn Wussow zu tun, der glaubt, als Doktor Brinkmann tatsächlich operieren zu können. Buscemi erzählt ohne cinematische Tricks oder bemühte Originalität aus dem Leben einiger Schluckspechte in seiner Heimatstadt. Die Bar „Trees Lounge“ist für sie nicht nur das Wohnzimmer, sondern auch der Mittelpunkt der Welt, und die Grundidee des Films ist ganz einfach die, daß Buscemi sich vorzustellen versuchte, „wie mein Leben hätte verlaufen können, wenn ich nicht nach Manhattan gezogen und Schauspieler geworden, sondern in Valley Stream geblieben wäre“.
So ist es nur konsequent, daß Buscemi den Antihelden des Films Tommy selber spielt: Sein versoffenes und auf den Hund gekommenes Alter ego, dessen einziges Talent es zu sein scheint, bei allem so gründlich und demütigend wie nur möglich zu scheitern. In den ersten Minuten des Films ist es in erster Linie komisch zu beobachten, wie Tommy sich bei seinen Zechkumpanen zum Narren macht, wie er als gelernter Automechaniker ständig seinen Wagen absaufen läßt und massenweise Alkohol in sich hineinschüttet. Es kann gut sein, daß „Trees Lounge“als der Film mit den meisten Drinks pro Minute in die Geschichte eingehen wird. Aber wenn es Buscemi um die Lacher gänge, dann würde er uns nicht so nah an Tommy heranlassen, denn man merkt sehr schnell, wie hoch der Preis für dieses Leben in der Bar ist. Tommy wohnt sogar direkt über dem „Trees Lounge“in einem schäbigen Zimmer, und bei fast jeder Halbtotalen über den Tresen hinweg sehen wir dieselbe Handvoll von Dauergästen auf ihren Stammplätzen sitzen. Aber keiner von den Menschen, mit denen Tommy den größten Teil seiner Zeit verbringt, ist wirklich sein Freund, und in der langen und brilliant vorbereiteten Schlußeinstellung spürt man, daß es Tommy langsam dämmert, wie armselig und einsam er hier sein Leben wegsäuft.
Es gibt keine dramatische Zuspitzung, keine erzählerischen Tricks, die uns für oder gegen einzelne Filmfiguren Partei ergreifen lassen. Statt dessen konzentriert sich Buscemi auf eine genaue und einfühlsame Studie der Charaktere. Hier hat er viel von John Cassavetes gelernt. Dieser war ja so etwas wie der Gründervater des amerikanischen independent cinema, dessen wohl am meisten beschäftigter Star Buscemi heute ist. Cassavetes Lieblingsschauspieler Seymour Cassel spielt in „Trees Lounge“eine Rolle als netter Eisverkäufer, und viele von Buscemis Kollegen arbeiteten aus alter Verbundenheit mit, so daß selbst kleine Rollen in diesem Low-budget-Film mit so hochkarätigen Schauspielern wie Mimi Rogers, Samuel L. Jackson oder Danny Baldwin besetzt sind. Dies ist kein großartiges Kinodebüt, und Steve Buscemi wird wohl kaum in Hollywood als neue Regieentdeckung gefeiert werden, aber die Menschen in „Trees Lounge“sind so liebevoll und wahrhaftig gezeichnet, daß man auf den nächsten Film mit ihm hinter der Kamera gespannt sein darf. Als Schauspieler scheint er ja ohnehin zur Zeit in jedem zweiten Film mitzuspielen.
Wilfried Hippen
Cinema täglich 23 Uhr
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