Dokumentation: Ärztliche Stellungnahmen ignoriert
■ Das Behandlungszentrum für Folteropfer zu Abschiebungen bosnischer Flüchtlinge
April 1992: Serbische Tschetniks überfallen die Häuser der muslimischen Einwohner eines Dorfes. Die damals 24jährige Frau X sieht, wie ihre Eltern vor ihren Augen erschossen werden. Sie kommt in ein serbisches Lager für zweieinhalb Jahre. Frau X wird zu körperlicher Arbeit gezwungen und mißhandelt. Tagelang ist sie in eine Dunkelzelle gesperrt und muß eine nach Urin und Fäulnis stinkende Brühe trinken. Scheinexekutionen werden inszeniert. Sie wird vergewaltigt und muß bei anderen Vergewaltigungen zusehen. Ihre schlimmste Erfahrung: Die Beseitigung der sterblichen Überreste der anderen zu Tode gequälten Gefangenen.
Heute ist Frau X Patientin im Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin. Sie leidet unter lebensbedrohlichen Eßstörungen. Sie ist jetzt von der Abschiebung bedroht. Wohin sie zurückkehren soll, ist unklar, da ihr Heimatort heute in den serbischen Gebieten liegt.
Rund 60 Prozent aller Flüchtlinge aus Bosnien kommen aus Regionen, in die sie nicht zurückkehren können, da sie heute zur serbischen Republik gehören. In Bosnien drängen sich zur Zeit 750.000 Binnenflüchtlinge auf einem Viertel der Fläche der Region. In Tuzla haben freiwillige Rückkehrer keinen Platz gefunden, weil es keine Wohnungen gibt. Sie wurden nach Deutschland zurückgeschickt. Andere sind nach ihrer Ankunft als „Verräter“ von der Bevölkerung beschimpft und mißhandelt worden.
Die meisten PatientInnen des Behandlungszentrums für Folteropfer haben eine Duldung: Bei den Behörden werden die fachärztlichen und psychologischen Stellungnahmen dabei oft ignoriert. Bedenklich ist, wie die Ausländerbehörde in Berlin den Betroffenen die Rückkehr ankündigt, ohne davon Kenntnis zu nehmen, ob ein Mensch krank ist oder nicht.
Immerhin hatte das Land Berlin aus humanitären Gründen 30.000 BosnierInnen aufgenommen. Muß jetzt dieser menschliche Akt durch psychischen Druck und unangemessen schroffe Maßnahmen untergraben werden?
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen