Warten auf Tauwetter

■ Beim Treffen Jelzin/Clinton in Helsinki stehen die Zeichen auf Konfrontation. USA wollen an Nato-Fahrplan festhalten

Helsinki (taz) – Der Auftakt für den möglicherweise schwierigsten russisch-amerikanischen Präsidentengipfel seit Ende des Kalten Krieges war symbolisch: Als der knieverletzte Bill Clinton gestern mittag auf dem Flughafen Helsinki im Rollstuhl die Airforce One verließ, wehte ein eisiger Nordostwind. Mit eher gequältem Lächeln rollte Clinton über den roten Teppich, der zuvor fast weggeflogen wäre. Ohne Kommentar entschwand der US-Präsident in seiner Limousine und ließ sich zu einer Begegnung mit dem finnischen Präsidenten Martti Ahtissaari chauffieren. Ein erstes Treffen Clintons mit seinem russischen Amtskollegen Boris Jelzin war für den Abend bei einem Dinner mit Ahtissaari vorgesehen. Für heute sind mindestens zwei Arbeitstreffen geplant. Bleibt Jelzin in seinen Vier-Augen-Gespächen mit Clinton bei der harten Linie zur Nato-Osterweiterung, könnte die für den Abend angekündigte Pressekonferenz der beiden Präsidenten eine höchst kontroverse Veranstaltung werden. „Präsident Jelzin und die russische Führung sind überzeugt, daß eine Umsetzung der Nato-Pläne zur Osterweiterung der größte strategische Fehler des Westens seit Ende des Kalten Krieges wäre“, erklärte Jelzins Sprecher Sergej Jastrschembsky. Allein die Diskussion über dieses Thema habe bereits „einen Schatten über die Beziehungen zwischen dem Westen und Rußland geworfen“. Den Russen sei durch die Nato-Pläne „das Vertrauen geraubt worden, die wichtigste Errungenschaft seit Ende des Kalten Krieges“. US-Außenministerin Madeleine Albright, die Clinton nach Helsinki begleitete, reagierte auf diese Äußerungen mit der Feststellung, Rußland müsse „verstehen, daß wir einen Fahrplan für die Nato-Osterweiterung haben, bei dem wir bleiben werden“.

Ein Mitglied der Clinton-Delegation deutete an, der US-Präsident werde Jelzin „interessante Vorschläge für neue atomare Rüstungskontrollschritte machen“. Nach Aussagen aus Kreisen US- amerikanischer Rüstungskontrolldiplomaten gegenüber der taz könnte Clinton Jelzin vorschlagen, in einer künftigen Verhandlungsrunde nicht nur eine Verringerung strategischer Sprengköpfe (Start- III), sondern auch einen Abbau oder die Abschaffung taktischer Atomwaffen Rußlands und der USA zu vereinbaren.

Mit einer solchen Vereinbarung wäre auch die zwischen der Nato und Moskau strittige Frage einer etwaigen Stationierung taktischer Atomwaffen auf dem Territorium neuer Nato-Mitglieder aus der Welt geschafft. Möglicherweise wird Clinton darüber hinaus den Vorschlag machen, nach einer ersten bilateralen Vereinbarung zwischen Washington und Moskau über den Abbau atomarer Waffen, später mit Frankreich und Großbritannien auch eine Reduzierung der Arsenale dieser beiden Atomwaffenmächte zu vereinbaren.

Mit der der Forderung nach dem Nato-Beitritt „von mindestens einem der drei baltischen Staaten in der ersten Aufnahmerunde“ sorgte Litauens Außenminister Algirdas Saudargas für zusätzliche Komplikationen. In einer Rede vor den Botschaftern der Nato-Staaten äußerte er am Mittwoch in Brüssel die „legitime Erwartung Litauens, daß die Institutionalisierung des Dialogs zwischen der Nato und Rußland“ die baltischen Staaten nicht der Option auf eine Mitgliedschaft beraubt. Andreas Zumach