: Emozional-Reisen
Hast den letzten „Stern“auch gelesen? Da war nämlich ne Riesen-Beilage über Reisen drin. Und wir Deutsche sind ja tatsächlich das reisefreudigste Volk auffe Erde. Und besonders der Trend vonne letzte Jahre, diese Abenteuer- und Erlebnisreisen, weiten sich immer mehr aus. Zun Beispiel bietet Neckermann schon seit Jahren Pauschalreisen für Touristen an, wo man den Maunt Everest besteigen oder den Nordpol überquern kann und da ne beglaubigte Urkunde für kriegt.
Auch de „Emztional-Reisen“sind wild am Boomen, wo man inne Sterbeklinik von Mutter Theresa de Verhungerte eigenhändig de Augen zudrücken darf. Oder wo man bei de Tuttsie-Rebelln in Zaire oder Angola oder wo das ist auch schon mal ne echte Maschin'pistole bedien' kann. Nu habn ja besonders de afrikanische und asiatische Länder den Nachteil, daß man sich da de schrecklichste Krankheiten einfang' kann, wie Kollera, Tüfus, Aids, Billharziose, Malaria, Schwarzwasserfieber und was weiß ich noch alles. Und darum, mein' nu de jung' deutschen Veranstalter, sind se glücklich, daß se ihre Zielgruppe nu auch indeviduelle Abenteuer anbieten könn', de totale Emozion' garantiern, dabei aber medezinisch absolut unbedenklich sind, wenn man sich vorher mit Kondome eindeckt, die ja vonne „Stiftung Warentest“untersucht worden sind. Meine Stammkundin, Frau Hütlein, Jung-lürikerin, ist für diese Reisen sensebelesiert worden, als das damals mitte „Lichterketten gegen Ausländerfeindlichkeit“losging. Und de Reisen bei den Alternativ-Reisebüro „Mehr Licht“hat se alle gebucht. Die ihr Konzept war ganz einfach: Überall, wo Aselanten-Unterkünfte abgefackelt wurden, habn de schnelln Brüter von „Mehr Licht“schon zwei Tage später de Lichterketten organesiert. Übernachtung mit Öko-Frühstück und Händedruck von ein' MdB oder sogar Minister inklusive. Für de Castor-Reise bei den Berliner Veranstalter „Heiße Herzen“hat se natürlich auch sofort 'n Platz gebucht. „Die bieten aber auch“, erzählt sie, „den totalen Rundum-Service: fertige Hüttenbauplätze aus unbehandeltem Bio-Holz, Vollpension bei engagierten Landwirten aus Gorleben, die zum Teil noch original Plattdeutsch sprechen. Der Nachmittag geht schnell herum mit dem Fitneß-Projekt ,Wir unterhöhlen Straßen und blockieren Schienen'. Abends finden dann die Wein-Seminare unter der Leitung von Diplom-Psychologen statt, wo man all seine Wut, seine Angst und seine Erschütterung so richtig aus sich herausweinen kann. Eimer werden gestellt. Abschließend wird dann am Lagerfeuer gesungen, oder man tanzt mit der einheimischen Bevölkerung die alten Volkstänze. An dem Frauen-Seminar ,Der Vollmond und die Regelblutung' um Mitternacht habe ich allerdings nicht teilgenommen. Dafür an der Übung ,Gewaltfreier Umgang mit Grenzschutz und Polizei'.“„Und?“frag ich, „hat's was gebracht?“„Ja“, sagt sie mit leuchtende Augen, „ich habe mich mit so vielen Menschen emotional austauschen können, daß ich für die nächste Castor-Aktion auch schon wieder gebucht habe.“„Nee“, sag ich, „das mein ich nicht, hat der Protest denn den Castor-Transport gestoppt?“„O Gott“, antwortet sie, „das hab ich gar nicht realisiert ... bei dem konzentrierten Programm.“
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