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Ernüchterung auf Kunstrasen

■ Herbert König servierte einen knochentrockenen Büchner im Schauspielhaus

Theaterleute geben sich gern urteilsfreudig. So wie Herbert König. „Gegenwartsstücke sind oft nur schwachsinnig. Ich halte Klassiker für handwerklich wie vom Gehalt her für besser“, polterte der kurzfristig ans Bremer Theater verpflichtete Regisseur vor Wochenfrist ins Reportermikrophon. Früher, so erklärte König weiter, habe er auch wilde Inszenierungen gemacht, doch jetzt suche er nach Wahrhaftigkeit und Natürlichkeit bei den Schauspielern. Das klingt ganz so, als sei da einer zur Ruhe gekommen und in Ehren gereift. Auf ins Theater also, etwas Gewichtiges, Tiefgründiges, Bedenkliches und Sinnstiftendes steht auf dem Programm: Nämlich eine offenbar gehaltvolle Fassung von Büchners „Leonce und Lena“.

Als Lustspiel annoncierte der immerfrische Klassiker Georg Büchner sein Königskindermärchen „Leonce und Lena“. Doch trotz dieser Festlegung auf das Komödienfach ist das sprachschöne Stück selbstredend vielschichtiger. Schon deshalb gehört es zum gängigen Stadttheaterrepertoire.

Noch immer lebt Prinz Leonce am Hof seines Vaters, dem Kleinststaat-Regenten König Peter vom Reiche Popo. Leonce Dasein erschöpft sich ganz buchstäblich im Zeittotschlagen, bis Potentat Peter den Plan faßt, seinen Sohn mit der Prinzessin Lena vom Reiche Pipi zu verheiraten. Gemeinsam mit seinem Freund und Diener Valerio ergreift Leonce die Flucht und lernt die ihm unbekannte Auserwählte zufällig kennen und lieben. Das Paar kehrt an den Hof Peters zurück, und einem glücklichen Ende dieser von Anspielungen und Ironie wimmelnden Kolportage steht nur Büchners Hang zum Doppeldeutigen entgegen: Analog zum Finale in Shakespeares „Sommernachtstraum“erfüllt sich der väterliche Plan und kehren die Jugendlichen – wie Automaten – ins System zurück. Doch dieser Horrorvision steht eine zweite, romantisch-utopische Lesart entgegen.

Die Bühne im Bremer Schauspielhaus: ein Doppelmoppel aus kalter Pracht und falschem Schein. Herbert Königs Ausstatterin Marina Hellmann hat auf dem Boden und einem Hügel Kunstrasen auslegen und die Wände mit dem Muster weißer Kacheln überziehen lassen. Grün leuchtende Ausgangs-Schildchen über den Durchgängen verleihen dem Szenario einen Charme irgendwo zwischen Schlachthaus und Abdeckerei, nur eine Gans aus Pappmaché weckt den Anschein, daß es vielleicht doch gans lustig zugehen könnte.

„Sympathische Jugendliche und ihren verständlichen Haß auf das nicht ihren Vorstellungen entsprechende Leben“, wollte Herbert König zeigen, doch Pierre Bessons Leonce und Sven Lehmann als Valerio treten zunächst als die reinsten Kotzbrocken auf. Während den sinnentleerten Verrichtungen der Kumpane gewöhnlich melancholische Untertöne beigemengt werden, fehlt den beiden jungen Herren hier jeder Dekadandy-Weltschmerz. Das Leben ist ein ganz normaler Wahnsinn. Von latenten, manchmal durchbrechenden Aggressionen abgesehen, sind die beiden vom Dasein so betäubt, daß nicht mal eine Nase Koks eine erkennbare Wirkung zeigt.

Auch das Frauenpaar ist vom Leben ausgenüchtert: Zunächst temperamentvoll platzt Lena (Gabriela Maria Schmeide) auf die Bühne und sucht vergeblich vor ihrer Gouvernante (Vera Lippisch) Schutz. Eine Initiation ist vorbereitet: Auf Geheiß der Gouvernante muß sich Lena ihrer Mädchenkleidung (Kostüme: Lydia Kirchleitner) entledigen und wird durch neue Kleider zur Frau gemacht. In aller Strenge und epischer Länge inszeniert Herbert König diesen Regieeinfall. Keine Brüche nirgends, und was zuvor nur zu ahnen war, wird richtig deutlich: Dem Spielleiter ist es ernst mit Büchner und dessen Personal – viel zu ernst, wie sich nach der Flucht der beiden Paare zeigt.

Denn mit den ersten äußerlich zwar modernisierten, innerlich aber völlig heruntergenüchterten Szenen bereitet der Spielleiter nichts Neues und Anderes vor. Selbst im Zustand der völligen Freiheit wirken die beiden Paare regelrecht verklemmt. Komisches und Klamaukiges wird nur angedeutet und versandet so schnell, wie das Versprechen auf mögliche Veränderungen gekommen war. Nach Königs Inszenierungskonzept sind die Figuren durchgängig vom Leben betäubt. Gefühle sind unmöglich, von Zuneigung oder Liebe gar findet sich keine Spur.

Es ist schon eine besondere Regieleistung, Büchners vielschichtige Vorlage derart auszutrocknen. Und es ist eine zweite Leistung, mit einem so guten Ensemble ein so eindimensionales Schauspiel zustande zu bringen. Das Premierenpublikum honorierte die Leistung der DarstellerInnen und quittierte die Inszenierung mit Buhrufen.

Christoph Köster

Weitere Aufführungen am 29. März sowie am 2., 3., 5. und 6. April

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