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Kein Anlaß zur Eu(ro)phorie

40 Jahre Europäische Gemeinschaft: Zahlreiche Impulse für eine fortschrittliche Gleichstellungspolitik hatten nur eine bescheidene Wirkung  ■ Von Ulrike Helwerth

„Eine Erneuerung von Politik und Gesellschaft kann nur durch einen gemeinsamen Beitrag und eine ausgewogene Beteiligung von Frauen und Männern erfolgen. Dieser Beitrag und diese Beteiligung (...) füllen die Demokratie mit Leben und erhöhen das Vertrauen der Bürger in die Institutionen der demokratischen Ordnung.“ Wer Dokumente der Europäischen Union studiert, wie die hier zitierte Resolution der EU- Konferenz „Frauen für die Erneuerung von Politik und Gesellschaft“ vom Mai 1996, könnte der Illusion erliegen, daß „Chancengleichheitspolitik“ oberste politische Priorität in der EU besitze. Daß dem nicht so ist, erfahren wir jeden Tag. Aber es wäre genauso falsch, die Bemühungen der EU um Gleichstellung und Frauenförderung im Laufe von vier Jahrzehnten als bloße Lippenbekenntnisse abzutun.

Die „Dominanz des Ökonomischen“

Als sich am 25. März 1957 sechs Länder in Rom per Vertrag zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zusammenschlossen, standen dahinter vor allem ökonomische Interessen. Und sie waren es auch, die den Artikel 119 EG des Vertragswerks über den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit diktierten. Was da aus Sorge um Wettbewerbsverzerrungen festgeschrieben wurde, legte aber den Grundstein für eine Gleichstellungspolitik, von der zahlreiche Impulse für die Mitgliedsstaaten ausgingen. Zunächst wurde diese Selbstverpflichtung zur Gleichstellung zwar ignoriert, aber ab Mitte der „frauenbewegten“ 70er Jahre erließ die Gemeinschaft sechs Richtlinien, die das Prinzip der Gleichbehandlung auf andere Aspekte des Erwerbslebens ausdehnten und für die Mitgliedsstaaten verbindlich machten.

Die meisten EG-Länder nahmen es allerdings mit der Umsetzung dieser Richtlinien in nationales Recht nicht so genau. Die BRD sperrte sich dagegen mit der Begründung, das Grundgesetz täte der Gleichberechtigung vollauf Genüge. Erst nachdem die Europäische Kommission 1982 vor dem Europäischen Gerichtshof ein Vertragsverletzungsverfahren einleitete, verabschiedete der Bundestag das „Arbeitsrechtliche EG- Anpassungsgesetz“. 1996 stellte der Frauenausschuß des Europäischen Parlaments jedoch immer noch fest, daß die meisten Richtlinien bis heute nicht in allen Mitgliedsstaaten umgesetzt seien.

Alle Richtlinien haben einen erwerbszentrierten Ansatz. Das heißt, Frauen müssen in einem Normalarbeitsverhältnis stehen, um von der europäischen Gleichstellungspolitik überhaupt profitieren zu können. Diese fortdauernde „Dominanz des Ökonomischen“ und die daraus resultierende erwerbszentrierte Chancengleichheitspolitik der EU steht im Zentrum feministischer Kritik. Denn sie schreibt die Trennung zwischen der „öffentlichen“ Arbeitswelt und der „privaten“ Familienwelt fort und trägt dadurch kaum etwas zur Aufhebung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, der Lohndiskriminierung, der unbezahlten Familien- und Hausarbeit oder der systematischen Diskriminierung in fast allen Teilen der Sozialpolitik bei.

Das bestätigen schon die Basisdaten. So machen Frauen heute zwar durchschnittlich 40 Prozent der Arbeitskräfte in der EU aus, doch konzentrieren sich über zwei Drittel der weiblichen Beschäftigten in den Büro- und Dienstleistungsberufen. Die Erwerbslosenquote liegt bei Frauen höher als die bei Männern (13 zu 9 Prozent). Auch das Lohngefälle hat eher zu- denn abgenommen. Im EU- Durchschnitt verdienen Frauen derzeit 20 Prozent weniger als Männer. Außerdem stellen sie 83 Prozent der Teilzeitbeschäftigten.

Ernüchternde Daten. Dennoch, bestätigen auch Kritikerinnen, ist die Chancengleichheitspolitik der EU besser als die der meisten ihrer Mitgliedsstaaten. Manch nationale Frauenpolitik wäre ohne Euro- Druck noch weiter zurück.

Zahlreiche Initiativen zu brisanten Themen wie Lohndiskriminierung, Prostitution, Lage der Frauen in den Entwicklungsländern oder Gen- und Reproduktionstechnologien gingen vom Europäischen Parlament (EP) aus. Das EP zählt derzeit 27,6 Prozent weibliche Abgeordnete und unterhält seit 1984 einen ständigen „Ausschuß für die Rechte der Frau“. Auf sein Drängen ist der Grundsatz der Chancengleichheit in den Leitlinien der europäischen Strukturfonds, der größten Förderquelle der Union, verankert worden. Eine Quotierung der Gelder wurde bislang aber stets abgelehnt. Der direkte Einfluß des EP ist jedoch aufgrund seiner geringen Befugnisse schwach, seine Politik hat vor allem symbolischen oder deklamatorischen Charakter.

Die eigentliche Exekutive der Union und „Hüterin der Verträge“ ist die Europäische Kommission. Unter den 20 KommissarInnen, davon fünf Frauen, gibt es bis heute keine Frauen- oder Gleichstellungskommissarin. Vielmehr steht die Frauenpolitik unter der Ägide des Kommissars für Beschäftigung, Arbeitsbeziehungen und soziale Beziehungen und wird in einem eigenen „Referat für Chancengleichheit“ behandelt.

Auf Drängen des EP hat die Kommission aber 1995 eine „Arbeitsgruppe Chancengleichheit“ ins Leben gerufen, der neben dem Präsidenten der Kommission vier weitere KommissarInnen angehören. Ihre Aufgabe ist es, darüber zu wachen, daß eine Gleichstellungspolitik ressortübergreifend Berücksichtigung findet. Der Schlüsselbegriff dafür heißt „Mainstreaming“. Was als „neue Strategie“ verkauft wird, ist jedoch nichts als die alte Erkenntis, daß Chancengleichheit nicht durch eine Frauensonderpolitik realisiert werden kann, sondern als Querschnittsaufgabe begriffen werden muß.

Das „Mainstreaming“ soll die sogenannten positiven Aktionen ergänzen, die neben den Strukturfonds seit 1982 eine wichtige und direkte Fördermaßnahme für Frauen darstellen. Materialisiert haben sie sich bisher in vier „Aktionsprogrammen“. Das derzeit laufende vierte (1996–2000) wurde jedoch auf Betreiben der Bundesrepublik und Großbritanniens gegenüber dem dritten glatt um die Hälfte gekürzt und hat nur noch ein Volumen von 30 Mio Ecu (rund 58 Mio Mark). Im Rahmen der Aktionsprogramme wurden inzwischen auch über zehn europäische Expertinnen-Netzwerke gegründet, die zu unterschiedlichen Aspekten wie Arbeitsmarkt, Familie und Beruf oder Frauen in Führungspositionen arbeiten.

Trendwende in der EU-Frauenpolitik?

Eine wichtige Rolle spielt auch der Europäische Gerichtshof – der übrigens an seiner Spitze ganz ohne Frauen auskommt. Sein erstes bemerkenswertes Urteil erließ er im Fall Gabrielle Defrenne gegen die Fluggesellschaft Sabena. Die belgische Stewardeß hatte Ende der 60er Jahre dagegen geklagt, daß sie im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen mit 40 vom Dienst in der Luft suspendiert werden sollte und dadurch finanzielle Einbußen erlitt. Sie bekam teilweise recht. Jahrzehnte lang stand der Gerichtshof daher im Ruf, eine beispielhafte Rechtsprechung zu pflegen. Das änderte sich schlagartig 1995 mit dem Urteil im Fall Kalanke gegen die Stadt Bremen, in dem die Richter eine prinzipielle Bevorzugung von Frauen ablehnten. Viele Frauenpolitikerinnen sahen darin eine Trendwende in der EU-Frauenpolitik.

Zur Eu(ro)phorie besteht derzeit tatsächlich wenig Anlaß. Angesichts der Krise von Arbeitsgesellschaft und Sozialstaat hat Frauenpolitik bereits seit Ende der 80er Jahre besonders auf nationaler Ebene immer mehr an Bedeutung verloren. Eine Tatsache, die sich direkt auf europäischer Ebene niederschlägt. Nicht von ungefähr waren es die Frauen der skandinavischen Länder, die bei den Referenden mehrheitlich einen Beitritt zur EU ablehnten – aus Angst um ihre erkämpften Rechte.

Viele EU-Richtlinienvorschläge liegen in den Schubladen der Kommission und werden im Ministerrat blockiert. Größtes Hindernis war bislang die erforderliche Einstimmigkeit. Erst das Sozialprotokoll des Maastricht-Vertrags hat diese Situation etwas verbessert. Es erweitert die Themenbereiche, in denen eine qualifizierte Mehrheit für Ratsbeschlüsse ausreicht, und sieht die Kooperation mit dem Europäischen Parlament vor. Zusätzlich erlaubt es ausdrücklich frauenfördernde Maßnahmen.

Für den erweiterten Maastricht- Vertrag, der noch im Laufe diesen Jahres unterzeichnet werden soll, fordert der Frauenausschuß des Europäischen Parlaments unter anderem einen Grund- und Menschenrechtskatalog, in dem auch der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen festgeschrieben werden soll (siehe Interview).

„Die „Unterrepräsentation der Frauen ist ein Demokratiedefizit“ und stellt einen „schwerwiegenden Verlust“ für die Gesellschaft dar, heißt es folgerichtig im ersten Rechenschaftsbericht der Arbeitsgruppe Chancengleichheit der EU-Kommission vom Februar 1997. Aber, so dämpfen die AutorInnen alle Erwartungen, dies sei eine „langwierige Aufgabe“, die nur „ganz allmählich Früchte tragen wird“.

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