piwik no script img

Getrennt lagern, vereint Atom müllen

■ Deutsche Atomkraftwerksbetreiber signalisieren erstmals ihr Einverständnis zum Bau von weiteren Zwischenlagern in Süddeutschland und fordern dringend eine Einigung der Politiker bei den Energiegesprächen

Hannover (taz) – Die Atomindustrie ist erstmals zu einem Kompromiß in der Entsorgungsfrage bereit: Zur Entlastung von Gorleben und Ahaus sind die Atomkraftwerker bereit, auch Zwischenlager in Süddeutschland zu errichten. Dann müßte der Atommüll nicht mehr quer durch die Republik transportiert werden – eine Forderung, die vor allem die SPD stellt.

In einem Brief an Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) und den niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder (SPD) bitten die Stromkonzerne geradezu flehentlich um einen Atommüllkompromiß von Bundesregierung und SPD. „Eine von den großen Parteien getragene Verständigung halten wir für dringend geboten“, heißt es in dem Schreiben des Sprechers der deutschen Kernkraftwerke, RWE-Energiechef Roland Farnung. Dem Brief zufolge wollen die AKW-Betreiber bei einem Atommüllkompromiß auch „schmerzhafte Veränderungen des bisherigen Entsorgungskonzeptes“ akzeptieren. Das bereits im Februar auf Beamtenebene von Bundesregierung und SPD ausgearbeitete „Verständigungspapier“ über die Atommüllentsorgung bezeichnet Farnung „als geeignete Plattform“ für eine Vereinbarung zwischen Regierung und Opposition.

Das Verständigungspapier sieht unter anderem eine regionale Ausgewogenheit und eine sogenannte Transportoptimierung bei der Zwischenlagerung von Atommüll vor. Das Gorlebener Zwischenlager soll nicht mehr für abgebrannte Brennelemente aus süddeutschen Atomkraftwerken zur Verfügung stehen. Bei Bedarf sollen dann in Süddeutschland zusätzliche Zwischenlagerkapazitäten errichtet werden.

Aus dem Brief von Roland Farnung läßt sich schließen, daß die Atomindustrie um des Kompromisses willen auch eine solche Dezentralisierung der Zwischenlagerung mittragen will. Die Vorstandsvorsitzenden der AKW-Betreiber seien bereits Mitte Februar über die von der Arbeitsgruppe erzielten Ergebnisse informiert worden, schreibt Farnung. Das Kompromißpapier sei „mit allen Punkten“ für eine Verständigung zwischen Regierung, Opposition und den betroffenen Bundesländern geeignet. Die Bundesumweltministerin und den niedersächsischen Ministerpräsidenten bittet Farnung „herzlich, alle Anstrengungen zu unternehmen, um im Interesse unseres Landes die gebotene Verständigung herbeizuführen“.

Ein Sprecher der Staatskanzlei in Hannover begrüßte den Brief gestern „als wichtigen Schritt in Richtung Dezentralisierung der Atommüllzwischenlagerung“. Schröders Regierungssprecher verwies allerdings darauf, daß die genauen Details erst Gegenstand des Gesprächs sein sollen, das SPD und Bundesregierung in der kommenden Woche mit den Energieversorgern führen wollen.

Von einzelnen Punkten des Verständigungspapiers sind Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering und Gerhard Schröder, die für die SPD über den Atommüll verhandeln, inzwischen abgerückt. So erklärte der Regierungssprecher in Hannover gestern, einem standortunabhängigen Genehmigungsverfahren für einen neuen Reaktortyp werde die SPD nicht den Segen geben. Jürgen Voges

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen