Osterhase missioniert nicht

■ Debatte um „Judenmission“und die biblischen Missionsbefehle nach der Shoah

Ostern, das feierliche Erinnern an die Auferstehung Jesu als Christus Gottessohn, ist das höchste Fest der Christenheit. Ohne Ostern, ohne Auferstehung keine Christologie, kein Bruch mit der jüdischen Tradition. Dies zu verkünden „in aller Welt“, und vielleicht auch „den Juden zuerst“(Paulus), ist seit dem Tod Jesu vornehme Christenpflicht. Nicht zufällig haben die Christen ihr höchstes Fest auf den Tag gelegt, an dem die Juden ihr Passah-Fest feiern, die Befreiung aus Ägypten. Schon im Datum des Osterfestes liegt die Kunde: An die Stelle eurer alttestamentarischen Befreiungstradition setzen wir etwas Neues, unsere Befreiungstradition, auf Christus gegründet.

Mit Zentrum in Baden-Württemberg gibt es nun kleine „Israel-Kreise“, auch in Bremen, die sich zum Ziel gesetzt haben, Juden zu helfen und zum rechten Osterglauben an den gekreuzigten und auferstandenen Messias missionieren wollen. Bremer Christen sind sprachlos empört darüber, daß es sowas heute noch gibt: „Mir hat es fast die Sprache verschlagen“, schreibt ein Leserbriefschreiber in Heft 4'97 der Bremer Kirchenzeitung (bkz), „da könnten einem die Haare zu Berge stehen“, ein zweiter, „mir fehlen die Worte“beginnt ein dritter.

Aktuell geworden ist das Thema und die Debatte um die Judenmission durch 40.000 sowjetische Juden, die nach Deutschland gekommen sind. Die kleinen, nach der Judenvernichtung in Deutschland neu gewachsenen jüdischen Gemeinden sind vollkommen überfordert, für die Neuankömmlinge praktische Hilfe zu organisieren und sie auch kulturell zu integrieren. Die in Rußland „areligiös“aufgewachsenen und hier dann auch „orientierungslosen Menschen“, wie Elvira Noa, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Bremen, das Problem beschreibt, brauchen aber Hilfe. Da kommt dann der Israel-Kreis der Huchtinger Matthäus-Gemeinde, hilft, hat auch gleich mit Brigitte Teichert eine professionelle Wohnungsmaklerin dabei – und organisiert in den Räumen der Gemeinde an den jüdischen Festtagen Feiern für die armen Menschen, die nur „gerettet“werden können, wenn sie messianische Juden werden, also den Weg zum Messias Jesus Christus finden.

In Ländern mit Religionsfreiheit wie in den USA, in denen sich der Staat heraushält aus der Konkurrenz der religiösen Überzeugungen, wäre so etwas normal. Aber in Deutschland gibt es nach der Shoah dieses „normal“nicht, wo es um die jüdische Religionsfreiheit geht.

„Judenmission, egal welcher Art, ist eine Fortsetzung der Shoah“, formulierte der Schriftführer der Bremer Evangelischen Kirchen, Pastor Zobeltitz, gemeinsam mit dem Rabbiner Prof. Barslai aus dem aktuellen Anlaß. Der Kirchenausschuß der Bremischen Evangelischen Kirche befaßte sich Mitte März mit dieser Frage – und verkündete einhellig: „Die Art und Weise, wie wir als Christen uns gegenüber Juden verhalten sollten, muß sich auch aufgrund einer sorgfältigen Reflexion unserer Geschichte mit den Juden ergeben.“Nicht die vielfältigen biblischen Missions-Befehle, auf die sich die frommen Christen des „Israel-Kreises“beziehen, sind für die Bremer Kirchen entscheidend, sondern die jüngste deutsche Geschichte. Der oberste Kirchenausschuß kategorisch: „Israel ist und bleibt Gottes auserwähltes Volk. Wir haben das Christusereignis als Geschehen zu verstehen, das diesen Bund öffnet für die Heiden...“Folgerung: „Für eine Judenmission, die davon ausgeht, daß Juden ohne Bekenntnis zu Jesus Christus verloren sind, finden die Kirchenoberen kein Verständnis.“

Genau dies aber finden frommen Christen in der Bibel. „Ihr israelitischen Männer, höret diese Worte: Jesus, den Nazoräer .. habt ihr durch die Hand der Gesetzlosen ans Kreuz nageln und töten lassen. (..) So möge nun das Haus Israel mit Gewißheit erkennen, daß Gott ihn zum Herrn und zum Christus gemacht hat, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt. (...) Tut Buße, und jeder von Euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi.“So steht es in der Apostelgeschichte, Kapitel 2, und nicht nur dort.

„Eine derartig widerliche, pseudochristliche Arroganz kann es durchaus mit dem Geist der Ketzerverfolgung aufnehmen“, empört sich einer der Leserbriefe in der Bremer Kirchenzeitung. Die „Ausnutzung von Notlagen“kritisiert auch der Kirchenausschuß besonders, Hilfe ja – aber ohne missionarischen Hintergedanken. „Als Christen haben wir russischen Juden, die in der Regel nicht im Judentum verwurzelt sind, zuerst und vor allem zu helfen, ihren Weg in die Synagoge zu finden.“

Der Gedanke hat etwas Verlockendes. Auch christliche Prediger etwa in Südamerika, die aus Groschen der Missionshilfe von dem Überfluß verteilen, der sich aus vorteilhalften Handelsgeschäften bei uns angesammelt hat, könnten sich in diesem Sinne von christlichen Kolonisatoren absetzen. Vollkommen unabhängig von „Auschwitz“hat der feste Glaube an den Osterhasen im Christentum längst die Provokation abgelöst, die darin lag, mit dem Auferstehung-Jesu-Fest das jüdische Befreiungsfest verdrängen zu wollen. Elie Wiesel hat einmal gesagt: „Der nachdenkliche Christ weiß, daß in Auschwitz nicht das jüdische Volk gestorben ist, sondern das Christentum“, zitiert einer in der Debatte um die Judenmission in der Bremer Kirchenzeitung. K.W.

Illustration: Agnolo Bronzino, Die Auferstehung, 1552