: Sprung aus der Flasche
Der Fußballnationalspieler Tony Adams kannte nur Guinness. Jetzt lernt er Keats und Shakespeare kennen ■ Von Ronald Reng
London (taz) – Er jagte sein Auto den Bürgersteig hoch, um einem Kind auf der Straße auszuweichen, und endete in einer Gartenmauer. Als Ärzte und Polizei Tony Adams, den Mannschaftskapitän des FC Arsenal, aus dem Wagen zogen, stellten sie fest, daß dreimal soviel Alkohol durch sein Blut floß wie gesetzlich erlaubt.
Wie Arsenal in jener Maiwoche gespielt hatte? Es spielte keine Rolle. Zwischen Sieg und Niederlage hat Tony Adams (30) nie einen Unterschied gemacht. Er hat sich immer betrunken. Natürlich, sagt er, habe er nach Siegen Glück gespürt und nach Niederlagen Enttäuschung. Aber der Zwang zu trinken war stärker. „Ich habe meine Gefühle nie ausgelebt – ich habe mich nur besoffen.“
Von dem Unfall, der Adams 1990 vier Monate Gefängnis wegen Trunkenheit am Steuer einbrachte, bis zu der Selbstanalyse hat er sechs Jahre gebraucht. Zu Beginn dieser Saison bat er in der Umkleidekabine von Arsenal seine Mitspieler, ihm kurz zuzuhören. Adams, 46 Länderspiele und Kapitän der englischen Elf bei der EM 1996, sagte ihnen dann, daß er Alkoholiker sei.
Einen Kollegen beeindruckte das so sehr, daß er das vertrauliche Geständnis an eine Boulevardzeitung weitergab; vermutlich für Geld. Doch während verständnisvollere Arsenal-Angestellte sich noch sorgten, die Schlagzeilen würden dem Verteidiger mehr zusetzen als jeder gegnerische Angreifer, begann Tony Adams selbst, jedem von seinem Leiden zu erzählen. Es ist seine Therapie.
„Mein Leben war in der Flasche“, sagt Adams, „und ich mußte es da wieder rauskriegen.“ Seit jenem Geständnis in der Umkleidekabine ist er trocken. Wer ihn lange nicht gesehen hat und diese Woche in Bisham Abbey besucht, dem Quartier der englischen Nationalmannschaft, hat Schwierigkeiten, ihn wiederzuerkennen. Die Augen, die Ohren, der ausgeprägte Kiefer, alles sei noch wie zuvor, stellte das Fußballmagazin Goal fest, „aber laßt euch nicht täuschen: dieser Mann ist nicht mehr derselbe“. Aus Adams, der Schreien und Wutausbrüche für Problembereinigung hielt, ist Adams geworden, der sagt: „Geduld ist neu für mich. Ich finde es sehr interessant, es ist eine Stärke, der ich mir vorher nie bewußt war.“ Daß er wegen Verletzung nun doch nicht spielen wird, im heutigen Testspiel gegen Mexiko, kann er derzeit verkraften. Adams, der Golf, Billard und Pub-Besuche für die einzigen Freizeitbeschäftigungen hielt, studiert jetzt an der Abendschule englische Literatur. „Ich habe ,Romeo und Julia‘ gelesen“, sagt er, „und einen Roman von Thomas Hardy. Oh, und ein bißchen von Keats.“
Sein Fußballspiel ist von alldem unbeeinflußt geblieben. „Es ist doch klar: Wenn du nicht mehr jeden Tag sieben Guinness runterkippst, fühlst du dich besser in Form“, sagt Adams. Aber er war als Trinker ein Verteidiger, der ungelenk wirkte und stark spielte, und das ist er noch heute. Mit Grätschen und Kopfbällen hat er sich immer schon ausdrücken können. Nun lernt er, es mit Worten zu tun. Früher hat er in der Umkleidekabine den Tanzbären gespielt, gebrüllt und getobt. Dafür wurde er gelobt, Tony Adams, hieß es, ist ein wahrer Anführer, er putscht seine Mitspieler auf. Dabei, sagt er, „habe ich nur geschrien, um meine Unsicherheit zu verstecken. Ich war ein Nervenbündel.“
Es klingt nicht nur beeindruckend, sondern auch komisch, Adams, der sein Leben lang alles ausblendete, was außerhalb der vier Eckfahnen geschah, auf einmal Sätze formen zu hören wie: „Ich trage keine Maske mehr“ oder „Ich lerne jetzt mich selbst kennen.“ Da spricht sein Therapeut aus ihm, und niemand kann sagen, wieviel Adams wirklich aufnimmt und wieviel er nur nachplappert von dem, was er bei den Treffen der anonymen Alkoholiker lernt. Genausowenig wie sicher ist, ob aus dem „Romeo und Julia“-Leser nicht wieder der Guinness-Trinker wird. Eine professionelle Fußballelf ist nicht der einfachste Platz für eine Alkoholikertherapie. Häufig ist dort die Fähigkeit, zehn Bier trinken zu können, ähnlich hoch angesehen wie jene, zehn Tore zu schießen.
„Andere Spieler necken mich, rufen ,Schnapsnase‘“, sagt Adams und tut erst gar nicht so, als könne er es leicht aushalten. Gleichzeitig ist er sichtlich stolz, daß er es nach 13 Jahren als professioneller Verteidiger, nach zwei Meisterschaften und einem Europacupgewinn endlich geschafft hat, seinen größten Gegner zu attackieren: die Sucht. „Wenn ich morgens aufwache“, sagt Tony Adams, „denke ich jetzt darüber nach, was ich an diesem Tag tun werde.“ Früher mußte er erst einmal darüber nachdenken, wie er am Abend zuvor nach Hause gekommen war.
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