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Stairway to Heaven Von Mathias Bröckers

Der Selbstmord der Gruppe „Heaven's Gate“ in Kalifornien soll stattgefunden haben, weil die Mitglieder hinter dem Kometen Hale- Bopp angeblich ein himmlisches Raumschiff geortet hatten. In einer Art von vorauseilendem Check-in haben sie sich ihrer körperlichen Hüllen entledigt und auf das lang erwartete Shuttle zum Paradies gestürzt.

Kometen und andere irreguläre Himmelskörper haben seit jeher eine bedeutende Rolle für die Phantasie der Menschheit gespielt, und ihr Erscheinen wurde schon immer von einigen quasi als letzter Aufruf verstanden. Wer ohnehin glaubte, daß es das irdische Jammertal nicht mehr lange macht und die letzten Tage der Menschheit schlagen würden, konnte die plötzliche Außergewöhnlichkeit am Himmel stets als i-Tüpfelchen dieser These sehen. Erwarteten frühere Generationen noch leuchtende Himmelswagen oder eine goldene Treppe, die es den „Gerechten“ erlauben sollte, dem apokalyptischen Strafgericht zu entgehen, schweben die himmlischen Heerscharen etwa seit Mitte dieses Jahrhunderts mit fliegenden Untertassen ein. Zugespitzt könnte man sagen: jedesmal, wenn oben am Himmel neues kosmisches Gestein vorüberfliegt, wechseln unten auf der Erde die Mythen den Fuhrpark. Dummerweise ist die Sache mit dem Strafgericht keine Phantasterei: Oft genug in seiner Geschichte wurde der Planet tatsächlich von schweren Himmelskörpern getroffen, was Sintfluten und andere Naturkatastrophen auslöste. Die Angst vor den Zeichen am Himmel ist also nicht einfach aus der Luft gegriffen, sondern tief in das Menschheitsgedächtnis eingegraben – der Mythos der Apokalypse hat einen harten Kern. Ähnliches gilt auch für den Mythos der Außerirdischen, die sich strafend oder rettend in irdisches Geschehen einmischen – auch hierbei handelt es sich nicht um eine moderne Erfindung des Medienzeitalters, die in den Phantasien des Publikums ein Eigenleben gewonnen hat. Der Kontakt mit höheren Dimensionen zieht sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte. Die Parallelen sind unübersehbar. Daß kleine graue Außerirdische amerikanische Hausfrauen entführen, (gen-)medizinische Versuche mit ihnen anstellen und verschwörerische Regierungen dies im Deal gegen neue Technologien decken – diese moderne Variante des UFO- Rätsels deckt sich mit einem Muster, das uns aus den Märchen wohlbekannt ist: Ein kleines graues Männchen (Rumpelstilzchen) bietet modernste High- Tech-Verfahren (Stroh zu Gold verwandeln) und verlangt im Austausch genetisches Material („der Königin ihr Kind“). Jacques Vallee hat in seinen Büchern gezeigt, wie sich solche Außerirdischen-Legenden durch die Sagenwelt vieler Kulturen ziehen. Hatten unsere Vorfahren, zumal im schriftlosen Zeitalter, nichts Besseres zu tun, als Science-fiction-Stories zu tradieren? Nein, diese Geschichten wurden überliefert, weil sie einen harten Kern hatten – wie die Steine, die vom Himmel fielen. „Außerirdische“ sind nicht erst neuerdings da, sondern schon immer. Nur deshalb können sie verwechselt werden wie jetzt von den verwirrten Seelen in San Diego. Ein bedauerliches Mißverständnis, bei dem uns nur der gute alte Slogan der Buddha-Airlines ein wenig Trost spenden kann: „Wieder kommen sie immer!“

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