piwik no script img

■ ScheibengerichtBulgarian All Star Orchestra

Disha – The Soul of Bulgaria (Network / Zweitausendeins 25.829)

Der Frauenchor „Le Mystère des Voix Bulgares“ hat Bulgarien vor ein paar Jahren auf die Landkarte der Weltmusikfans gesetzt. Ähnlich den Vokalistinnen des staatlichen Rundfunks ist auch das Bulgarian All Star Orchestra keine authentische Dorfkapelle aus der Provinz, sondern eine Versammlung hochkarätiger Solisten, die eigens zu dieser Plattenproduktion zusammenkamen. Das Repertoire stellt einen Schnelldurchlauf durch die breitgefächerte Musikkultur des Balkan dar. Neben makedonischen und rumänischen Einflüssen gibt es Verflechtungen mit türkischer Musik, da Bulgarien bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zur Einflußsphäre des Osmanischen Reiches gehörte. Archaische und neuzeitliche Musizierformen gehen spannende Verbindungen ein. In der reichen Ornamentik des „Gaida“-Dudelsacks und der „Gadulka“-Fiedel lebt die uralte Musikkultur der Dörfer wieder auf, während die moderneren Stilsynthesen der Städte eng mit westlichen Instrumenten wie Klarinette, Geige und Akkordeon verbunden sind.

Oft beginnen die Stücke mit einer langen Einleitung im freien Rhythmus, in der sich die Solisten erst einmal warmzuspielen scheinen, um dann in hochvirtuoser Manier über vertrackte Takteinheiten zu improvisieren. Die Phrasierung des Gesangs ahmt die Instrumentalmusik nach, wobei der ausgezeichnete Einführungstext von Kim Burton, ehemals Akkordeonist der englischen Weltmusikformation 3 Mustapha 3, sogar Anklänge an geistliche Lieder aus der Türkei ausmacht. Im Unterschied etwa zu Ivo Papasov & His Bulgarian Wedding Band verzichtet das Bulgarian All Star Orchestra bewußt auf Schlagzeug und elektrische Gitarren, was die Gruppe zu einem Bannerträger des Folk-Revivals macht, das in Bulgarien allerdings erst nach dem Zusammenbruch des totalitären Regimes beginnen konnte. Die türkisch beeinflußte „Calgia“-Musik war unter den nationalistisch eingestellten Kommunisten verboten und hat im Untergrund überwintert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen